Wenn es im Gesundheitswesen ums Sparen geht, rücken Arzneimittelpreise schnell in den Fokus. Studien belegen: Preisregulierung hat einen negativen Impact auf die Innovationen und kostet Wertschöpfung und Wohlstand. Foto: ©iStock.com/AndreyPopov
Wenn es im Gesundheitswesen ums Sparen geht, rücken Arzneimittelpreise schnell in den Fokus. Studien belegen: Preisregulierung hat einen negativen Impact auf die Innovationen und kostet Wertschöpfung und Wohlstand. Foto: ©iStock.com/AndreyPopov

Arzneimittel: Der Preis der Preisregulierung

Wenn es im Gesundheitswesen ums Sparen geht, richten sich die Blicke schnell auf die Ausgaben für Arzneimittel. Dabei ist es ein Irrglaube, dass der Griff in die Taschen der Pharmaunternehmen nur diesen schadet. Zahlreiche Studien aus den Wirtschaftswissenschaften belegen: Die Preisregulierung hat negative Auswirkungen auf die Innovationen von Morgen und kostet Wertschöpfung und damit Wohlstand. Eine einseitig auf Arzneimittelinnovationen fokussierende Sparpolitik ist kurzsichtig.

Es ist halt so einfach: Fehlt irgendwo Geld – und wo fehlt es gerade nicht – dann setzt man einfach den Herstellerrabatt hoch. Gemessen an Strukturreformen, die langwierig und schmerzhaft sind, weil viele Interessensgruppen die Krallen ausfahren, ist Sparen mit Arzneimitteln ein vergleichsweise einfacher Prozess: Pharma hat es ja, heißt es da gern. Allerdings hinterlässt dieser Rotstift in der gesamtgesellschaftlichen Bilanz tiefe Spuren. Und das geht zu Lasten der Medizin von Morgen.

Arzneimittel: Vom Zusammenhang zwischen Preisdeckel und Fortschritt

Arzneimittel: Vom Zusammenhang zwischen Preisdeckel und Fortschritt
Grad einer Innovation hängt von der Größe des potenziellen Marktes ab. Foto: ©iStock.com/Jacob Wackerhausen

Schon im Jahr 2004 stellten die US-Professoren Daron Acemoglu and Joshua Linn in einer Untersuchung fest: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Steigerung der potenziellen Marktgröße für eine Arzneimittelklasse um ein Prozent zu einem Anstieg von etwa vier Prozent bei der Markteinführung neuer patentgeschützter Medikamente und Wirkstoffe führt.“ Size matters: Je größer, je attraktiver der Markt, desto mehr Schwung bekommt die Forschung und Entwicklung (F&E). Wirtschaftswissenschaftler:innen wie Nobelpreisträger Acemoglu betonen, dass der Grad einer Innovation von der Größe des potenziellen Marktes abhängt. Dabei sind mehrere Faktoren entscheidend, wie die Größe der zu behandelnden Bevölkerungsgruppe und die sozioökonomischen Bedingungen, in der sie lebt. Der Wettbewerb unter den Unternehmen spielt eine Rolle, aber auch Aspekte wie Patentschutz oder eben Erstattungsbedingungen. Innovative Prozesse in der Medizin beruhen nicht ausschließlich darauf, was medizinisch möglich ist, sondern sind maßgeblich auch von Incentivierung getrieben. Und Arzneimittelpreise, die sich aus der Kassenlage von Krankenversicherungen ergeben – statt aus ihrem Innovationsgrad – sind das Gegenteil davon. So wird Fortschritt ausgebremst.

Eine aktuellere Untersuchung des Zusammenhangs zwischen ökonomischen Antrieb und pharmazeutischer Innovation haben die Professoren Tomas J. Philipson und Troy Durie von der Universität Chicago vorgelegt. Ihr Ziel war es, die Wirkung von HR 5376 (Inflation Reduction Act) auf Arzneimittelinnovationen und Gesundheit zu messen – jenem milliardenschweres Gesetz, das US-Präsident Joe Biden unterzeichnet hatte, um Wirtschafts- und Klimapolitik zu fördern, aber eben auch, um die Preise von Arzneimitteln zu senken. „Eine umfangreiche akademische Literatur […] kommt zu dem Ergebnis, dass im Durchschnitt eine Verringerung der Einnahmen durch Arzneimittel um ein Prozent zu einer Verringerung der F&E-Aktivitäten um 1,5 Prozent führt. Wir stellen fest, dass HR 5376 die Einnahmen bis 2039 um 12,0 Prozent reduzieren wird und dass die Evidenzbasis daher voraussagt, dass die F&E-Ausgaben in diesem Zeitraum um etwa 18,5 Prozent um insgesamt 663 Milliarden US-Dollar sinken werden.“

Pharmaforschung: Hoher gesamtgesellschaftlicher Nutzen

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Sparpolitik: Lebensrettende Medikamente gehen verloren. Foto: ©iStock.com/inkoly

Philipson und Durie haben ausgerechnet, dass das Biden-Gesetz bis 2039 letztlich zu 135 weniger neuen Arzneimitteln führen und damit erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung haben dürfte. „Es wird prognostiziert, dass dieser Rückgang bei neuen Medikamenten in den USA zu einem Verlust von 331,5 Millionen Lebensjahren führen wird, 31-mal so groß wie die 10,7 Millionen Lebensjahre, die bisher in den USA durch COVID-19 verloren gegangen sind.“ Sie widersprechen damit entschieden dem Congressional Budget Office (CBO), das davon ausgeht, dass durch die Sparpolitik von HR 5376 bis 2039 nur 5 neue Medikamente verloren gehen würden.

Die Studie mit dem schönen Titel „Policy Options for the Drug Pricing Conundrum“ (Politische Optionen für das Arzneimittelpreis-Dilemma) kommt zu dem Schluss, dass „der langfristige Nutzen der pharmazeutischen Forschung die Kosten bei weitem übersteigt.“ Angesichts der Diskussionen über Arzneimittelpreise in den USA, plädieren sie dafür, dass die F&E-Investitionen gleichmäßig über Länder mit hohem Einkommen verteilt werden sollten.

Kostendämpfung: Ein Euro gespart, mehr als zwei verloren

Es ist Konsens in der ökonomischen Forschung, dass Kostendämpfung Innovation kostet. Auch in Deutschland gibt es Untersuchungen, die den Effekt von Kostendämpfung als Bremse für Innovationen zeigen. Die BASYS-Studie hatte gezeigt, dass Spargesetze dem Wirtschaftsstandort massiv schaden (Pharma Fakten berichtete). Dort wurde eine Erhöhung des Herstellerrabattes von sieben Prozent auf 16 Prozent modelliert und man kam zu dem Ergebnis, dass sich die negativen Wertschöpfungs- und Investitionseffekte auf das Doppelte bis Dreifache der vermeintlichen Einsparung belaufen. Jeder Euro Preissenkung steht demnach für 2,23 Euro, die der volkswirtschaftlichen Produktion entzogen werden: So teuer kann sparen sein.

Weiterführende Links:

Daron Acemoglu, Joshua Linn: Market Size in Innovation: Theory and Evidence From the Pharmaceutical Industry, 2004.

Tomas J. Philipson, Troy Durie: The Impact of HR 5376 on Biopharmaceutical Innovation and Patient Health, 2021.

Kate Ho & Ariel Pakes: Policy Options for the Drug Pricing Conundrum, 2024.

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