
Gleich in der Vorstellungsrunde ging es los: „Wie kann das sein, dass die Pharmakonzerne ganz häufig Fantasiepreise verlangen; sprich: hunderte Euro für ein paar Pillen, die in der Herstellung ein paar Cent kosten?“, fragte Moderator Lanz im ZDF.
Jetzt gibt es 2 Möglichkeiten: Entweder ist es schon in Minute 2 der Sendung das Ziel, mit Polemik die Empörungsschwelle ansteigen zu lassen. Oder es versteckt sich dahinter ein tiefes Unverständnis darüber, wie Innovationen in einer Marktwirtschaft honoriert werden. Wenn es heute gelingt, dass Menschen mit metastasiertem Lungenkrebs mit 2 „Pillen“ am Tag mehr als 10 Jahre überleben, dürfte jedem klar sein: Hier geht es nicht um die Gramm an Wirkstoff, die das offensichtlich möglich machen, sondern um die Finanzierung von Spitzenforschung. Honoriert wird weniger das Wissen, wie man einen Wirkstoff in eine Tablette packt, sondern das Wissen, wie man mit diesem Wirkstoff Lungenkrebs in Schach hält; oder anders: Der Preis für die „Pille“ richtet sich nicht allein nach den Kosten der Herstellung, sondern nach dem, was sie kann. Als Konsument:innen erleben wir das jeden Tag: Wer sich ein Auto kauft, zahlt nicht bloß die Herstellungskosten, sonst gäbe es bald keine Unternehmen mehr, die sie bauen. Oder sie wären so fortschrittlich wie die Autos aus dem ehemaligen Ostblock. Glaubt Markus Lanz, dass er das Handy, was er wahrscheinlich in der Hosentasche hat, zum Herstellungspreis erstanden hat?
Übrigens: Das, was in der Sendung mehrfach „Fantasiepreise“ genannt wurde, sind in Wirklichkeit verhandelte Preise, auf die sich das Pharmaunternehmen mit den Krankenkassen geeinigt hat. Eine freie Preisbildung gibt es in Deutschland nur in den ersten Monaten, in denen eine Arzneimittelinnovation verfügbar ist. Danach gilt: Es gibt kaum etwas, das so reguliert ist wie Arzneimittelpreise.
Pharmaunternehmen produzieren nicht in Deutschland – angeblich
Zu Gast war unter anderem Professor Roland Seifert, er ist Pharmakologe. Er bestätigte die von Markus Lanz in den Raum gestellte Aussage, dass kein deutsches Pharmaunternehmen mehr in Deutschland produziere („Richtig“) – die seien alle abgewandert, um woanders günstiger zu produzieren.

Warum er das bestätigte, dürfte sein Geheimnis bleiben, denn es ist schlicht falsch. Ein paar Klicks durch Google hätten ihm das gezeigt: So produziert die Salutas Pharma GmbH im Auftrag von Sandoz in Barleben in einem riesigen Werk „Tabletten, Filmtabletten und Kapseln zur oralen Einnahme, darunter hochwirksame Arzneimittel zur Krebstherapie“. Bayer fertigt in Bitterfeld zum Beispiel Aspirin, in Bergkamen pharmazeutische Wirkstoffe oder in Wuppertal „rund 20 Wirkstoffe für den Weltmarkt“. Boehringer Ingelheim hat in Biberach einen großen Produktionsstandort. Und auch andere, nicht-deutsche Unternehmen sind hierzulande sehr aktiv: Das Werk von Pfizer in Freiburg stellt jährlich 8 Milliarden Tabletten her und „zählt weltweit zu den modernsten Produktionsstätten.“ Und Roche in Penzberg? Dort werden unter anderem biotechnologisch hergestellte Wirkstoffe entwickelt, die Menschen in der ganzen Welt mit lebenswichtigen Arzneien versorgen. Dies ist nur eine Auswahl. Auch die Mitarbeiter:innen von Aristo Pharma darf es laut der ZDF-Sendung nicht geben: In Wernigerode produzieren sie unter anderem Säfte, Cremes und Gels. Aber bitte nicht weitersagen: Die Sendung läuft gerade so gut.
Richtig aber ist, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Herstellung vieler Arzneimittel aus Europa abgewandert ist. Das liegt unter anderem an politischen Weichenstellungen, wie Gesundheitsminister Lauterbach schon mehrfach selbstkritisch angemerkt hatte: „Wir haben es mit der Ökonomisierung übertrieben.“ So zitierte ihn unter anderem das Handelsblatt.
Die „darwinistische“ Marktwirtschaft

Markus Lanz wollte „verstehen“, warum Unternehmen nach „China oder Indien“ abwandern. Gehe es wirklich nur um die „darwinistische“ Marktwirtschaft; darum, „den letzten Cent herauszuholen?“ Das bestätigte Pharmakologe Seifert; schließlich gäbe es bei „teuren Krebsmedikamenten“ keine Versorgungsprobleme. Nur: Es gibt nicht DIE Pharmaindustrie. Das Geschäftsmodell der forschenden Unternehmen unterscheidet sich fundamental von dem Geschäftsmodell von Generikaproduzenten: Während die Ertragslage für Arzneimittelinnovationen noch relativ gut ist (wobei sich die Situation zunehmend verschlechtert – siehe das 2022 beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz), hat im Generikamarkt in den vergangenen Jahrzehnten ein Preisdumping eingesetzt, das abstruse Züge angenommen hat. Eine Tablette des Brustkrebsmedikaments Tamoxifen? 8 Cent. 10 Fieberzäpfchen für Kinder? 1,20 Euro. Bei solchen Preisen müsse sich niemand über Lieferengpässe wundern, erklärte Deutschlands oberste Apothekerin Gabriele R. Overwiening auf dem Bayerischen Pharmagipfel. Generische Arzneimittel wurden von der Politik zur Ramschware heruntergewirtschaftet.
Doch Professor Seifert hatte noch mehr zu bieten: Gerade in der Onkologie gelte, dass Arzneimittel zugelassen würden, „von denen nachgewiesen wurde, dass sie keinen Nutzen haben“. Er weiß natürlich, dass ein solches Arzneimittel von den Behörden niemals eine Zulassung bekommen würde. Und auch die Unterstellung, dass viele Krebsmedikamente keinen Zusatznutzen hätten, also einen Mehrnutzen gegenüber bereits zugelassenen Präparaten, steht in einem merkwürdigen Kontrast zu den Aussagen führender Onkolog:innen im Lande. So erklärte etwa Professor Christof von Kalle gegenüber Pharma Fakten: „Die Zukunft hat schon begonnen. In der Behandlung von Krebs sehen wir Fortschritte, an die vor wenigen Jahren nur wenige geglaubt haben.“
Das neue Gesetz: 7 Cent mehr für einen Fiebersaft

Auch um den Patentschutz ging es in der Sendung. Wer sich das anhören will: Ab Minute 50 der Sendung geht es los. Lohnen tut es sich nicht – zu diesem Thema war so ziemlich alles falsch. Der Patentschutz auf ein Medikament? „10 Jahre.“ Ist falsch. Mit ein paar „kleinen Kniffen“ könne man aber dafür sorgen, so Lanz, „dass dieser Patentschutz immer weiter und immer weiter und immer weiter geht.“ Ist auch falsch. Die Industrie arbeitet ja nicht im luftleeren Raum und sie entscheidet schon gar nicht allein über die Laufzeit ihrer Patente.
Seifert lobte das Lieferengpass-Gesetz, was der ebenfalls anwesende Gesundheitsminister vorgelegt hat. Es sieht unter anderem vor, dass für einzelne generische Wirkstoffe die Erstattungssituation verbessert wird. Dass es etwas grundlegend ändert, glauben im Gesundheitswesen nur wenige. Ein Paracetamol-Fiebersaft kostet in Deutschland 1,36 Euro. Mit dem Gesetz soll er um 7 Cent teurer werden, rechnet der Verband Pro Generika vor. Damit gelingt es den Unternehmen höchstens kostendeckend zu arbeiten.
Die Pharmaindustrie: Der Lord Voldemort unter den Unternehmen?
Zumindest einen roten Faden hatte die Sendung: Die Pharmaindustrie wurde als Lord Voldemort unter den Unternehmen dargestellt. Mit einer Mischung aus Nicht-Wissen, Halb-Wissen, Nicht-Wissen-wollen und Unterstellungen wurde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine komplette Branche mit all ihren Mitarbeiter:innen an den Pranger gestellt. Und das im Jahr 1 nach der Pandemie, in der die Menschen in diesen Unternehmen in einer in der Geschichte beispiellosen Anstrengung Impfstoffe und Arzneimittel entwickelt haben, die weltweit Millionen Menschenleben gerettet und schwere Verläufe abgemildert haben. Und aufgrund derer aberwitzige Milliardensummen nicht vernichtet wurden, weil die globale Wirtschaft sich schneller erholen konnte.
Eine KI hätte sicher weniger Fehler gemacht: ChatGPT, bitte übernehmen Sie. Es ist schade, dass man als Gebührenzahler:in das Geld für einzelne Sendungen nicht zurückfordern darf.
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