Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist eine Gefahr für Patient:innen, innovative Forschung, Wirtschaft. Und zur Finanzstabilisierung trägt es auch nicht bei. Foto: ©iStock.com/Natali_Mis
Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist eine Gefahr für Patient:innen, innovative Forschung, Wirtschaft. Und zur Finanzstabilisierung trägt es auch nicht bei. Foto: ©iStock.com/Natali_Mis

Auf Kosten von Patient:innen, Forschung, Wirtschaft: GKV-Finanzstabilisierungsgesetz spart an falscher Stelle

Patient:innen, die künftig schlechter Zugang zu innovativen Arzneimitteln erhalten; pharmazeutische Spitzenforschung, die zunehmend in andere Länder wie die USA und China abwandert; ein wichtiger Wirtschaftszweig und Jobgarant, der geschwächt wird: All dies droht Deutschland, wenn das geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz in seiner jetzigen Form Realität wird. Die Menschen in der Bundesrepublik haben es verdient, dass die Politik das Ruder in letzter Sekunde herumreißt.

Es bleibt nicht mehr viel Zeit: Am 20. Oktober soll im Bundestag über das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) abgestimmt werden. Einige Landesapothekerverbände haben zu Protestaktionen in Form von Streiks bzw. Apothekenschließungen aufgerufen. Ärzt:innen waren demonstrieren. Es wurden sorgenvolle Briefe an politische Entscheidungsträger:innen geschrieben – etwa von Geschäftsführenden von Pharmaunternehmen. Pressemitteilungen und Stellungnahmen von Krankenkassen, Mediziner:innen oder Organisationen wie der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) sind online gegangen. Die Kritik ist umfangreich. Mit Blick auf Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach ist der Entwurf ein „Einer gegen den Rest der Welt“.

Zwar geht es bei dem Gesetz darum, die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu stabilisieren. Doch letztendlich geht es um mehr. Die gute medizinische Versorgung der Menschen in Deutschland ist in Gefahr.

Einen überproportionalen Sparbeitrag soll die pharmazeutische Industrie leisten. Dabei haben die Arzneimittelhersteller nur einen Anteil von rund 11 Prozent an den Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) (s. BPI). Der Anteil der Arzneimittelausgaben ist seit Jahrzehnten stabil. Kostentreiber? Fehlanzeige.

Sparen an Arzneimittelinnovationen? Schlecht für die Patient:innen

GKV-FinanzstabilisierungsgesetzWenn die geplanten Maßnahmen denn wenigstens nachvollziehbar wären – doch sie entbehren teils jeglicher Logik. Man stelle sich etwa vor, ein Unternehmen hat – nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit auf eigenes Risiko – ein innovatives Medikament entwickelt, das sich als besser als bisher verfügbare Therapien erweist. Was bekommt es zum Lohn? Künftig in vielen Fällen keinen besseren Preis. Richtig gelesen: Laut Gesetzesentwurf ist für ein neues Arzneimittel, dem im deutschen Nutzenbewertungsverfahren ein „nicht quantifizierbarer“ oder ein „geringer“ Zusatznutzen gegenüber einem patentgeschützten Therapiestandard zugesprochen wird, „ein Erstattungsbetrag zu vereinbaren, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die zweckmäßige Vergleichstherapie“. Ähnlich verwirrend sind die Regelungen für Arzneimittel, die genauso gut wie die patentgeschützte Vergleichstherapie sind – sie sollen nicht etwa gleichviel, sondern weniger kosten. Gerade sogenannte Schrittinnovationen tragen aber entscheidend dazu bei, die Therapie von Patient:innen immer weiter zu optimieren – etwa weil sie besser verträglich, einfacher handzuhaben oder auch therapeutisch vorteilhaft sind. Dieser Fortschritt in Schritten wird von der Politik abgestraft – anders lässt sich der Gesetzentwurf nicht verstehen.

GKV-FinanzstabilisierungsgesetzNach den Preisverhandlungen zwischen Pharmafirma und Krankenkassen geht es weiter: Für neue Arzneimittel, die in einer Kombination mit anderen Wirkstoffen eingesetzt werden, sollen die pharmazeutischen Firmen künftig zusätzlich einen pauschalen Abschlag in Höhe von 20 Prozent gewähren. Warum das so sein soll? Das weiß wohl nur Lauterbach – medizinisch lässt sich das Abstrafen von Kombinationstherapien jedenfalls nicht begründen. Denn bei vielen Erkrankungen – etwa bei Krebs – sind sie Standard und haben die Behandlung entscheidend verbessert (s. Pharma Fakten). Zudem werden in den Preisverhandlungen mit den Krankenkassen schon heute Kombi-Therapien voll berücksichtigt. Eine Doppelregulierung.

Arzneimittel für 0 Euro?

„Gerade bei Arzneimitteln, die in Kombination gegeben werden, wirken die verschiedenen neuen bzw. erhöhten Abschläge, die der Gesetzentwurf vorsieht, nicht vorhersehbar zusammen und kumulieren zu einer starken Preisabschlagspirale, die eine wirtschaftliche Vermarktung der Arzneimittel in Frage stellt“, fürchtet der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa).

GKV Gesetz KombitherapienNehmen wir an, ein neues Arzneimittel „B“ verbessert als „Add-On“, also als zusätzlicher Kombipartner zu einer bereits verfügbaren Monotherapie A, die Behandlung von Patient:innen und erhält im Bewertungsverfahren einen „geringen Zusatznutzen“ gegenüber dieser patentgeschützten Monotherapie A. Dürfte die neue Kombitherapie (A+B) dann künftig also nicht mehr kosten als A? Ein neues, wirksames Arzneimittel (B) soll einen Preis von maximal 0 Euro haben (s. Grafik)? So zumindest liest sich der Gesetzentwurf. Es braucht kein Wirtschaftsstudium, um zu verstehen: Unter solchen Umständen ist es Unternehmen nicht möglich, ihre Präparate den Menschen hierzulande zur Verfügung zu stellen, denn ein Preis von 0 Euro ist faktisch ein Leistungsausschluss. Keine „Abstriche in der Versorgung“, keine „Leistungskürzungen“ wie von Prof. Dr. Lauterbach versprochen sieht anders aus.

GKV-FinStG: „Kuddelmuddel, das am Ende keinem hilft“

Weitere Eingriffe sind geplant: Seit Jahren müssen pharmazeutische Unternehmen einen Herstellerrabatt abführen; er soll erhöht werden auf 12 Prozent – dass das in den Investitionsvolumina forschender Pharmafirmen eine kräftige Bremsspur hinterlassen wird, zeigt eine vfa-Projektion. Die Zeit, in der – vor den Rabattverhandlungen mit den Krankenkassen – der vom pharmazeutischen Unternehmen festgesetzte Preis gilt, soll auf 6 Monate halbiert werden. Das sogenannte Preismoratorium soll verlängert werden – was bedeutet, dass die Pharmabranche als einzige Branche ihre steigenden Kosten durch Inflation und Energiekrise nur teilweise und stark zeitverzögert weitergeben kann. Einige weitere Regelungen treffen Orphan Drugs – also Medikamente gegen seltene Krankheiten, deren Entwicklung besonders herausfordernd ist – besonders stark.

Das GKV-FinStG – es ist ein Sammelsurium von Regelungen, deren Konsequenzen niemand analysiert hat. Die Gefahr, die für die Versorgung kranker Menschen ausgeht, ergibt sich nicht nur durch die Vielzahl von Einzelmaßnahmen, sondern liegt in der Kumulation dieser Eingriffe. Es ist zu befürchten, dass die Summe mehr ist als ihre Einzelteile, weil sich einzelne Maßnahmen verstärken können. Das so genannte Stabilisierungsgesetz ist ein hochriskantes Experiment mit unbekanntem Ausgang.

Noch einmal der vfa: „Im deutschen Erstattungsrecht würde mit dem geplanten GKV-Finanzierungsgesetz alles durcheinandergewirbelt und es entstünden unvorhergesehene Wechselwirkungen zwischen den Regelungen. Klar ist, dass dies zu Marktrücknahmen oder zum Unterlassen der Markteinführung von neuen Arzneimitteln führen wird. Nicht klar ist, welches Ausmaß so eine ´Innovationslücke` annehmen kann.“ Der Entwurf sei ein „Kuddelmuddel, das am Ende keinem hilft.”

Spargesetz: Patient:innen, Forschung, Wirtschaft haben das Nachsehen

Spargesetz: Patient:innen, Forschung, Wirtschaft haben das Nachsehen
Spargesetz: Innovationen haben das Nachsehen. Foto: ©iStock.com/Natali_Mis

Die Preisspirale bei Arzneimitteln dreht sich zunehmend schnell nach unten, gerade wenn das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz so wie geplant Wirklichkeit wird. Tatsache ist: Wenn sich die hiesigen Erstattungsbedingungen für Arzneimittel signifikant verschlechtern und Innovationen anderswo deutlich besser gefördert werden, zieht die Bundesrepublik im weltweiten Wettbewerb schnell den Kürzeren. Bei globalen Markteinführungen neuer Medikamente kommen dann erst – oder: nur – die Patient:innen in anderen Ländern zum Zuge, pharmazeutische Spitzenforschung wandert in die USA, China oder andere Regionen der Welt ab.

Ein Unternehmen, das etwa daran arbeitet, die Diabetes-Therapie nebenwirkungsärmer und somit besser verträglich zu machen, wird sich künftig genau überlegen müssen, ob es sich lohnt Studien in Deutschland aufzusetzen (s. Pharma Fakten) oder das Präparat auf den hiesigen Markt zu bringen – schließlich würde eine solche Innovationen hier ggf. nicht honoriert; den Zusatznutzen könnte die Firma nicht monetarisieren.

Noch schlimmer wird das Ganze, wenn man bedenkt, dass die geplanten Maßnahmen nicht mal dazu geeignet sind, die GKV nachhaltig zu stabilisieren – das sind sich viele Expert:innen einig (s. Bundesrat). Es ist ein Sparen an falscher Stelle – und ein Sparen, das Deutschland teuer zu stehen kommen wird. Denn neben der Gesundheit der Patient:innen und den hiesigen Forschungsaktivitäten steht ein wichtiger Wirtschaftsfaktor auf dem Spiel: Wenn pharmazeutische Forschung, Entwicklung, Produktion aus Deutschland abwandern, gehen damit Jobs, Bruttowertschöpfung, Wohlstand verloren. Die Menschen in Deutschland haben wahrlich Besseres verdient.

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