Deutschland ist ein starker Standort für Biotechnologie. Im internationalen Ranking verliert das Land allerdings immer mehr an Bedeutung. Gesucht wird nach Mitteln, um gegenzusteuern. Foto: ©Pharma Fakten
Deutschland ist ein starker Standort für Biotechnologie. Im internationalen Ranking verliert das Land allerdings immer mehr an Bedeutung. Gesucht wird nach Mitteln, um gegenzusteuern. Foto: ©Pharma Fakten

Biotechnologie: Mehr Zukunft wagen

Deutschland ist ein starker Standort für Biotechnologie. Im internationalen Ranking verliert das Land allerdings immer mehr an Bedeutung. Unter dem Motto „Gesunde Industriepolitik: Fortschrittsdialog“ haben forschende Pharmaunternehmen und die Industriegewerkschaft IGBCE unter der Schirmherrschaft von Gabriele Katzmarek (SPD) eine Initiative gestartet. In Veranstaltungen quer durch die Republik soll erörtert werden, was die Branche benötigt, um weiter Teil der Weltspitze zu sein. Die 2. Veranstaltung der Reihe fand in München statt.
Bayerns Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek
Klaus Holetschek. Foto: ©Pharma Fakten

Und die war schon vor Beginn richtig in Fahrt. Der Grund: ein Interview von Roche-Deutschland-Geschäftsführer Prof. Hagen Pfundner in der BILD-Zeitung. Dort hatte der Manager den Wirtschaftsstandort Deutschland „angezählt“, wie es Bayerns Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek, formulierte. Mangelnde Digitalisierung, Bürokratie mit extrem langen Genehmigungsverfahren, akute Inflation, extreme Energiekosten – all das hatte der Roche-Chef genannt und erklärt: „Ich befürchte eine schleichende Deindustrialisierung. Die Attraktivität anderer Regionen und Märkte steigt. Es kommen ständig Länder auf uns zu, die uns Angebote machen.“ In der Aufregung ging etwas unter, was Pfundner auch gesagt hatte: „Die grundsätzlichen Bedingungen, um hier erfolgreich mit der Wissenschaft zu kooperieren, sich in die medizinischen Versorgungsstrukturen zu integrieren, sind sehr, sehr gut.“ Und: „Es ist Hoffnung da. Die Gespräche in den Ministerien für Wirtschaft, Wissenschaft und für Finanzen sind ermutigend. Da geht es langsam in die richtige Richtung.“ Nur eben viel zu langsam.

Trotzdem: Für Bayerns Gesundheitspolitiker Nummer 1 war das Interview wie ein Elfer auf ein leeres Tor. Klaus Holetschek hatte bereits mehrfach deutlich gemacht, was er von dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hält, das Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach im Herbst durch den Bundestag gebracht hatte (Pharma Fakten berichtete). Das Spargesetz hat aus der Sicht der Biotech-Branche innovationsfeindliche Bedingungen geschaffen. Trotz aller akuten Finanzierungsprobleme der Gesetzlichen Krankenversicherung dürfe man die Zukunft nicht aus den Augen verlieren, so der Staatsminister. „Deshalb müssen wir jetzt klipp und klar sagen: Die Industrielle Gesundheitswirtschaft ist die Leitökonomie der Zukunft.“ Seine Aufgabe als Politiker sieht er darin, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass das auch passiert. Er fordert die Bundesregierung auf, den Pharmadialog wiederaufzunehmen: „Der Bund muss nun dafür sorgen, dass sich Spitzenforschung in der Gesundheits- und Pflegewirtschaft und die Herstellung innovativer Produkte auch weiterhin lohnen.“ 

Da gibt es auch keinen Dissens zwischen dem CSU-Mann und SPD-Frau Gabriele Katzmarek, Schirmherrin des Fortschrittdialogs. „Nicht nur bei den LNG-Terminals, auch in dieser Branche müssen wir mehr Tempo an den Tag legen.“ Sie verwies darauf, dass man die steuerliche Forschungsförderung auf den Weg gebracht habe, auf die immer mehr Unternehmen zurückgreifen würden.

Fachkräftemangel: Die große Herausforderung

SPD-Frau Gabriele Katzmarek
Gabriele Katzmarek, SPD. Foto: ©Pharma Fakten

Doch was einen Standort stark macht, ist mehr als „nur“ Forschung und Entwicklung zu organisieren. „Denn dazu braucht es Menschen, die forschen und entwickeln“, so Katzmarek. Der Fachkräftemangel ist auch für die Biotech-Branche eine Riesen-Herausforderung. Und der hat längst alle Gesellschaftskreise ergriffen: „Wenn eine ganze Kindergruppe zu macht, weil 2 Fachkräfte für die Betreuung fehlen“, so zeigte Florian Schardt, IHK-Vizepräsident in München, die Dimension auf, „dann habe ich 20 Fachkräfte zu wenig.“ Denn dann müssen sich die Eltern um die Kinder kümmern: „Ein Riesenproblem – gerade in den Großräumen wie München.“ Er sieht ein großes inländisches Potenzial, um das Fachkräfteproblem zu entschärfen. Man lernt: Fehlendes Personal in Kindergärten kann sich zu einem Hemmschuh für die Entwicklung eines Landes erweisen. 

Pharmaunternehmen wie das in München ansässige Biotech-Unternehmen Gilead Sciences setzen darauf, Bewerber:innen „sehr moderne und attraktive Arbeitsplätze“ anzubieten, wie es Christine Söder formuliert, die bei dem US-Unternehmen den Bereich Personal in Deutschland verantwortet. Dazu gehören die „Klassiker“ wie Arbeitssouveränität und Home-Office. Aber eben nicht nur: „Wir setzen konsequent auf Diversität. Und dabei geht es um viel mehr als etwa eine Frauenquote. Das schließt Faktoren wie das Alter, die sexuelle Orientierung, die körperliche oder psychische Fähigkeit, die Herkunft, Nationalität oder die Ausbildung ein.“ Christine Söder hat da keine Zweifel: „Diversität ist ein Schlüssel zum Erfolg.“ Teams, in denen Unterschiede wertgeschätzt werden, sieht sie als Treiber für neue Ideen. „Es reicht heute nicht mehr, innovative Produkte zu haben. Ich muss mir auch überlegen, über welche innovativen Wege ich dafür sorgen kann, dass sie bei den Patient:innen ankommen.“

Personalpolitik bei Pharma: Lob von der DIHK

Lob für ihre Personalpolitik bekommt die Pharmabranche von der Deutschen Industrie- und Handelskammer. In einer Studie, über die das Handelsblatt berichtet, zeigt sich, dass die Schaffung eines guten Arbeitsumfeldes für Frauen Früchte trägt.  Flexible Arbeitszeitmodelle, Unterstützung bei der Kinderbetreuung, Rahmenbedingungen für einen Wiedereinstieg von Eltern in den Beruf: All das habe für einen regelrechten Jobboom gesorgt, der vor allem von Frauen getragen ist.

Amgen, ebenfalls ein US-Biotech, unterhält in München einen Forschungsstandort für die Entwicklung so genannter BiTE-Moleküle und spezialisiert sich auf die Entwicklung innovativer Krebstherapien. Dr. Matthias Klinger, Direktor bei der Amgen Research sieht noch ganz andere Herausforderungen: „Für unser Labor fehlen uns die Ausbildungsberufe, die in den vergangenen Jahren eher abgewertet wurden.“ Amgen hat deshalb verschiedene Programme entwickelt, geht zum Beispiel in Schulen, um früh das Interesse für technische Berufe zu wecken.

Gesundheitspolitik: Mehr als nur Gesundheit

Amgen-Deutschlandchef Manfred Heinzer
Manfred Heinzer, Amgen. Foto: ©Pharma Fakten

Die Diskussion zeigt: Eine Gesundheitspolitik, die nur „Gesundheit“ denkt, ist nicht mehr zeitgemäß. Sie muss vernetzt gedacht und gemanagt werden, so Amgen-Deutschlandchef Manfred Heinzer in seinem Impuls: Als integrierte Gesundheits-, Wissenschafts-, Wirtschafts-, Innovations- und Standortpolitik, als ein „lebendiges Innovationsökosystem.“ Es sei deshalb kein Wunder, dass sich viele „spannende Unternehmen“ in Bayern angesiedelt hätten, wo man früh auf medizinische Spitzencluster wie BioM in Martinsried gesetzt habe. Vor diesem Hintergrund kritisierte Heinzer das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz: Weil eben Forschungsförderung, der Erhalt und Ausbau einer modernen Biotechnologie und Spargesetze, die Erlösmöglichkeiten biopharmazeutischer Innovationen deutlich einschränken, nicht zusammenpassen: „Innovationskraft ist nicht per se ein Selbstläufer.“

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