In der Krebstherapie wird die Rolle der Patient:innen für eine Optimierung von Versorgung und Forschung immer wichtiger. Foto: ©iStock.com/KatarzynaBialasiewicz
In der Krebstherapie wird die Rolle der Patient:innen für eine Optimierung von Versorgung und Forschung immer wichtiger. Foto: ©iStock.com/KatarzynaBialasiewicz

Krebs: Patient:in zu werden ist nicht schwer…

In der Krebstherapie wird die Rolle der Patient:innen für eine Optimierung von Versorgung und Forschung immer wichtiger. Auf der Vision Zero-Herbsttagung im vergangenen November kamen Menschen mit Krebs deshalb auch prominent zu Wort. Ein wichtiges Thema dabei: Die partizipative Entscheidungsfindung zwischen Behandelnden und Erkrankten.
Professor Dr. Michael Hallek, Onkologe aus Köln. Foto: Vision Zero
Professor Dr. Michael Hallek, Onkologe aus Köln. Foto: Vision Zero

Um sie soll sich alles drehen: Menschen mit Krebserkrankungen. „Ich bin Krebsforscher und -arzt geworden, weil Patientinnen und Patienten vollkommen ungenügend behandelt werden“, erklärte Professor Dr. Michael Hallek, Onkologe aus Köln und einer der Initiatoren von Vision Zero. „Und das wollen wir zusammen verbessern.“ Für Ex-Bundesgesundheitsminister und Vorstand der Initiative, Daniel Bahr, ist das genau das, was Vision Zero ausmacht: „Wir haben uns dazu verpflichtet, die Patientenperspektive zu stärken und wollen die Menschen mit Krebs dazu bewegen, sich die richtigen Informationen zu beschaffen, damit sie zusammen mit dem Arzt, der Ärztin, gemeinsam Entscheidungen treffen können.“ Die partizipative Entscheidungsfindung (shared-decision-making) steht hoch im Kurs.

Richtungsweisend: Die partizipative Entscheidungsfindung

Johannes Förner, Leukämie-Patient. Foto: Vision Zero
Johannes Förner, Leukämie-Patient. Foto: Vision Zero

Auch bei Johannes Förner, Computerfachmann, Leukämie-Patient und Patientenbeirat beim Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient sei zwar keine neue Idee, aber wichtiger denn je: „Vielen Patientinnen und Patienten ist gar nicht bewusst, dass es viele verschiedene Therapiemöglichkeiten gibt – das war bei mir nicht anders.“ Als Hochrisikopatient mit einer Chronischen Lymphatischen Leukämie (CLL) waren seine Ärzt:innen der Meinung, er brauche eine Dauertherapie, um das Risiko eines schnellen Fortschreitens zu vermeiden. Förner ist skeptisch, liest sich ein. Auf einer Online-Konferenz von Vision Zero hört er Professor Dr. Michael von Bergwelt, München, über Immuntherapien sprechen, erreicht ihn einen Tag später telefonisch, bekommt einen Termin und erfährt von klinischen Studien mit neuen, noch nicht zugelassenen Wirkstoffkandidaten, die zeitlich begrenzt eingesetzt werden können. Er wird aufgenommen und ein Jahr lang medikamentös behandelt: „Ich habe jetzt Zeiten, wo ich keine Medikamente nehmen muss, also auch keine Nebenwirkungen habe.“ Johannes Förner ist sich sicher: Der ganze Prozess hat ihn vor einer Dauertherapie bewahrt – und dafür gesorgt, dass er die bestmögliche Behandlung und Lebensqualität bekommen hat.

Shared-decision-making-Prozesse gibt es aus seiner Sicht noch zu wenig. „Sie kosten Zeit. Sie sind unbequem. Aber wir müssen anerkennen, dass die Prioritäten der Patienten sehr persönlich sind“ – etwa, wenn eine 92-jährige Brustkrebspatientin sich gegen eine Therapie entscheidet. Für ihn ist es lediglich die Frage, wann die partizipative Entscheidungsfindung als fester Prozess steht, nicht mehr, ob sie kommen wird. Allerdings müssten bis dahin noch einige Weichen gestellt werden – von der Bereitstellung von Ressourcen (Personal, Zeit, Geld) bis hin zur Erstellung von Entscheidungshilfen, bei denen die Patienten selbst mitarbeiten sollten, damit sie auch „patientenzentrisch“ sind.

Krebs-Patient: „Dass ich hier stehe, ist ein Wunder“

Bastian Schwarz, Krebspatient. Foto: Vision Zero
Bastian Schwarz, Krebspatient. Foto: Vision Zero

Wer wissen will, warum Krebsforschung mit Energie weitergetrieben werden muss, sollte Bastian Schwarz zuhören. Bei dem 33-Jährigen wurde ein sehr seltenes Sarkom diagnostiziert. „Sarkome machen ein Prozent aller Krebserkrankungen aus, mein Sarkom macht ein Prozent aller Sarkome aus. Das ist ungefähr gar nichts.“ Die Chance, daran zu erkranken, liegt bei 1 zu 15 Millionen. So groß ist auch die Chance auf einen Sechser im Lotto ohne Superzahl, so Schwarz auf der Tagung. Er sieht gesund aus. „Dass ich nachts nur drei Stunden schlafe, dass ich schwere Bauchschmerzen habe, sieht man mir nicht an.“ Die Krankheit, die Ungewissheit sind ständige Begleiter: Regelmäßige Kontrollen gehören zu seinem Leben: „Ich habe Angst. Ist der Krebs wieder zurück? Dass ich heute hier stehe, ist ein Wunder.“ Seine Leidenschaft, Fußball, musste er aufgeben. Er hat ein Projekt aufgesetzt, um die Forschung für Therapieansätze bei seltenen Sarkomkrankheiten zu verbessern.

Krebs bei jungen Menschen: Ungewissheit als ständiger Begleiter

Krebs bei jungen Menschen: Ungewissheit als ständiger Begleiter
Krebs bei jungen Menschen: Reelle Chance auf Langzeitüberleben? Foto: ©iStock.com/fizkes

Bastian Schwarz hat eine klare Botschaft: Gerade bei Kindern und Jugendlichen sind Ängste und Ungewissheiten ständige Begleiter. Von den rund 500.000 Menschen, die im Jahr in Deutschland eine Krebsdiagnose erhalten, trifft es 2.250 Kinder bis 18 Jahre und zwischen dem 18. und 39. Lebensjahr noch einmal rund 16.500 Menschen. „Das sind nur rund drei Prozent aller Krebserkrankungen und deshalb ist auch der Fokus nicht auf uns.“ Das muss sich ändern, findet er, „einfach, weil junge Menschen ganz andere Herausforderungen haben als Erwachsene.“ Die psychosozialen Herausforderungen, Start ins Leben nach dem Elternhaus, Beginn von Arbeitsleben und Karriere, Partnersuche und Familienplanung – all das unterscheide sich von Menschen, die in höherem Alter mit Krebs konfrontiert werden. „Ich sollte in meinem Alter ganz andere Sachen machen, als mich um Krebs zu kümmern.“

Und es gibt noch etwas, was den Krebs bei jüngeren Menschen von dem der Älteren unterscheidet. „Das sind die teilweise hervorragenden Heilungschancen; sie haben eine reelle Chance auf Langzeitüberleben“, sagt Professorin Dr. Inken Helgendorf vom Uniklinikum Jena, die sich als Kuratoriumsvorsitzende auch in der „Deutschen Stiftung Junge Erwachsene mit Krebs“ engagiert. Ihr Vortrag auf der Vision Zero-Herbsttagung: Das „Recht auf Vergessenwerden.“

Junge Krebsüberlebende: Das „Recht auf Vergessenwerden“

Vision Zero-Herbsttagung im vergangenen November
Vision Zero-Herbsttagung im vergangenen November. Foto: Vision Zero

Denn 30 Prozent der Betroffenen berichten laut einer Umfrage von Benachteiligungen – und das zum Teil noch viele Jahre nach der Krebserkrankung. „Das sind Probleme bei der Aufnahme von Hypotheken, bei Abschluss von Versicherungen, im Beruf und in der Karriere oder bei der Adoption von Kindern. Dabei ist die Gleichbehandlung eigentlich gesetzlich geregelt“, sagt die Wissenschaftlerin. Doch die Gesetze haben Lücken – und bieten Raum für Diskriminierung von jungen Menschen, die eine Krebserkrankung durchgestanden haben. Und dann passiert es, dass sich eine Lehrerin sieben Jahre nach der Diagnose anhören muss: „Niemand versichert ein brennendes Haus.“ Ein brennendes Haus? Dazu nur ein Beispiel: Die Medizinforschung hat das Überleben beim Hodgkin-Lymphom bei jungen Menschen durch eine Chemotherapie und einen Antikörper auf 98,6 Prozent hochgeschraubt.

Darum geht es beim Recht auf Vergessenwerden: Dass diese Menschen nach Ablauf einer bestimmten Zeit die Chance haben, wieder wie alle anderen behandelt zu werden. Dann hätten z. B. Versicherungsfirmen nach einer gewissen Zeit keinen Zugriff mehr auf die Information, ob jemand eine Krebserkrankung hatte oder nicht. In vielen Ländern Europas – etwa in Frankreich, Spanien, Italien – ist das so. In Deutschland nicht. Das System vergisst nicht – auf das Stigma einer Krebserkrankung folgt das soziale Stigma. „Deshalb fordern wir eine sofortige Anerkennung und Umsetzung des Rechts auf Vergessenwerden für Krebsüberlebende nach fünf Jahren Rezidivfreiheit“, sagt Professorin Helgendorf.

Paneldiskussion: Krebsversorgung optimieren

Paneldiskussion: Krebsversorgung optimieren
Digitalisierung: Versorgung verbessern. Foto: ©iStock.com/marchmeena29

Wie also kann die Situation von Krebspatientinnen und -patienten in den kommenden Jahren verbessert werden – und das vor dem Hintergrund, dass die Krebsfälle steigen werden? „Meine Vision ist, dass wir in zehn oder zwanzig Jahren sehr genau wissen, welche Patienten mit welchem Krebs mit welcher Therapie ein besonders großes Risiko für Langzeit- und Spätfolgen haben“, so Dr. Susanne Weg-Remers vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Dazu stellt sie sich ein Recall-System vor, z. B. über die elektronische Patientenakte gesteuert, das diese Menschen regelmäßig für Kontrollen kontaktiert. Das würde auch Ressourcen einsparen, vor allem aber die Versorgung verbessern. Die Digitalisierung als Schlüssel für eine optimale Versorgung; das könnte auch dringend benötige Effizienzreserven freisetzen, wie Professor Hallek ergänzte.

Professor Dr. Christof von Kalle betonte in diesem Zusammenhang, dass „die Beiträge, die die Patienten leisten, ungeheuer bereichernd sind.“ Und fragte: „Was müsste jetzt eigentlich passieren? Was ist das, was als nächstes passieren muss?“ Für Sarkom-Patient Bastian Schwarz ist klar: „Wir jungen Menschen brauchen Therapieoptionen, die auf uns zugeschnitten sind, weil wir ganz anders im Leben stehen als die meisten Krebspatienten.“ Und er fordert viel mehr Forschung – gerade auch Grundlagenforschung – im Bereich der seltenen Erkrankungen.

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