Die globale Wirtschaft muss sich neu erfinden: Klimakrise, alternde Gesellschaft, Digitalisierung – das sind nur einige der Entwicklungen, auf die sich Deutschland einstellen muss. Foto: ©istock.com/gorodenkoff
Die globale Wirtschaft muss sich neu erfinden: Klimakrise, alternde Gesellschaft, Digitalisierung – das sind nur einige der Entwicklungen, auf die sich Deutschland einstellen muss. Foto: ©istock.com/gorodenkoff

Mehr Pharma wagen

Die globale Wirtschaft muss sich neu erfinden: Die Klimakrise, die alternde Gesellschaft, die Herausforderungen der Digitalisierung – das sind nur einige der Entwicklungen, die unsere Art zu Wirtschaften verändern werden, verändern müssen. Die Politik ist gefordert, in den nächsten Jahren die Weichen neu zu stellen. Forschende Pharmaunternehmen könnten da eine wichtige Rolle spielen.

Gewiss ist, dass nichts mehr gewiss ist: Seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist die globale Sicherheitsarchitektur ein Trümmerhaufen. Monatelange Lockdowns in China haben die Verwundbarkeit der europäischen Wirtschaft offengelegt. Die Folgen: Etablierte Liefer- und Versorgungsketten lösen sich im Nichts auf. Engpässe treiben die Preise und machen wirtschaftliche Planungsprozesse schwierig. Wirtschaftliche Entscheidungen sind nicht mehr nur eine Frage von Rentabilitäten; plötzlich spielen geopolitische Fragen eine wichtige Rolle. Die Globalisierung frisst einen Teil ihrer Kinder.

„Europa steht vor einer historisch beispiellosen Transformation“ – so beginnt die Zukunftsstrategie „Pharma 2030“, die der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) erarbeitet hat. Er schreibt von „dem wohl ambitioniertesten industriepolitischen Vorhaben seit 100 Jahren.“ Die deutsche Erfolgsgeschichte braucht neue Impulse. Auch Deutschland muss sich – zumindest teilweise – neu erfinden.

Innovationen: Lebensversicherung für den Wohlstand von morgen

Innovationen: Lebensversicherung für den Wohlstand von morgen
Die pharmazeutische Industrie ist forschungsintensiv. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

Wer morgen den Wohlstand sichern will, muss heute auf Innovationen setzen. Das gilt insbesondere für die forschungsintensivste aller Branchen, die pharmazeutische Industrie. Denn sie wirkt doppelt: Als wirtschaftliche Einheit schafft sie eine hohe Wertschöpfung, bietet hochqualifizierte und krisenfeste Arbeitsplätze und sorgt für ständige Modernisierungsschübe auch im direkten und indirekten Umfeld. Aber Pharma ist mehr: Ihre Produkte – Arzneimittel und Impfstoffe – tragen zur Lösung demografischer Probleme bei. Sie sorgen dafür, „dass die Beschäftigten länger und gesünder am Arbeitsleben teilnehmen können.“ Kleiner Spoiler: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) in den Bereichen der Spitzentechnologie liegen in Deutschland unter dem internationalen Durchschnitt. Da geht noch was.

Innovationsoffenheit erfordert langfristiges Denken. Die Grundlagen dafür, dass kranke Menschen heute von den Segnungen von Gen- und Immuntherapien profitieren können, wurden mit der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes vor mehr als 20 Jahren geschaffen. Auch die Tatsache, dass es in der Pandemie erstmals gelang, mRNA-basierte Impfstoffe zu entwickeln – die laut vfa-Papier für „gleich mehrere Innovationssprünge in der modernen Medizin“ stehen – ist das Ergebnis langjähriger Vorarbeit, unzähliger Fehlschläge und des Willens, trotzdem eine Lösung zu finden.

Erfolge regnen nicht vom Himmel; sie brauchen entsprechende Rahmenbedingungen. Dazu gehört unter anderem eine „exzellente universitäre und außeruniversitäre Grundlagenforschung“, ein schneller Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die kommerzielle Anwendung, ein robuster Patentschutz und der Zugang zu wissenschaftlichen Ressourcen. Und mit Blick auf die jüngsten Kostendämpfungsmaßnahmen der Politik schreibt der vfa: „Innovationen im Gesundheitssystem brauchen eine angemessene Honorierung. Standorte sind für Forschende attraktiv, wenn dort Innovationen nach ihrer Zulassung schnell in der Praxis zur Verfügung stehen und die Vergütung den Fortschritt gegenüber bestehenden Therapien honoriert. Die wenigsten Therapien sind dabei grundlegende Durchbrüche: Vielmehr setzen sich die meisten Erfolge in der Behandlung beispielsweise von Krebs aus vielen kleinen Innovationen zusammen.“ Ein Merksatz für den Bundesgesundheitsminister. Das gerade verabschiedete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz stellt diese Realität auf den Kopf.

Big-Data-Anwendungen in der Medizin: Bislang ungekannte Fortschritte

Big-Data-Anwendungen in der Medizin: Bislang ungekannte Fortschritte
Digitalisierung: Deutschland hat Nachholbedarf. Foto: ©iStock.com/Andrey Suslov

Nachholbedarf – das hat keinerlei Neuigkeitswert – hat Deutschland auch bei der Digitalisierung. Dieses Hinterherhinken ist gerade im Gesundheitsbereich schlecht, denn die systematische Erhebung und Analyse dieser Informationen hat das Potenzial, Behandlungen zu optimieren, F&E zu beschleunigen und die Versorgung effizienter zu gestalten (s. Pharma Fakten). Deswegen heißt es auch: „Daten retten Leben.“ Gemessen an dem, was heute technisch möglich ist, lässt Deutschland die Chancen der digitalen Transformation auf geradezu fahrlässige Weise liegen. In der vfa-Zukunftsstrategie heißt es: „Die Aufschlüsselung der Genome (Genomsequenzierung) und der Einsatz von diagnostischen Tests (Biomarker Identifikation; Molekulardiagnostik) durch Big Data-Anwendungen ermöglichen bislang ungekannte Fortschritte in der Forschung und damit auch bessere klinische Studien.“ Die Folge sind neue, personalisierte Therapiemöglichkeiten. Es ist längst keine Science Fiction mehr: In der Entwicklung sind Tumorimpfstoffe, „die in kürzester Zeit, basierend auf genomischer Information, Patient:innen-spezifisch hergestellt und als therapeutische Impfung verabreicht werden können.“ 

Diesen Fortschritt muss man allerdings wollen. Denn neben einer Art „Straßenverkehrsordnung“, die den Zugang zu Daten und deren Schutz einheitlich regelt, müssen Bund und Länder die Infrastruktur bereitstellen, damit aus Datenströmen wissenschaftliche Erkenntnisse werden können. Das alles steckt noch in Kinderschuhen. Immerhin: Hier tut sich langsam was, wie Pharma Fakten berichtete. Ohne Daten gibt es keinen wissenschaftlichen Fortschritt.

Pharmaindustrie: Attraktive Arbeitswelten

Schon heute ist es Realität: Der Fachkräftemangel ist längst zu einem Hemmschuh für die Prosperität von Volkswirtschaften geworden. Der Blick nach vorne macht auch nicht fröhlicher: Schon heute ist in Deutschland jeder 4. Erwerbstätige älter als 55 Jahre. Die „demografische Lücke stellt Unternehmen vor die Herausforderung, für die bald in den Ruhestand gehenden Berufstätigen qualifizierten Nachwuchs zu finden.“ Der vfa ist überzeugt, dass sich im Wettbewerb um die fähigsten Köpfe deshalb die Unternehmen mit den besten Arbeitsbedingungen durchsetzen werden. Auch hier hat die Branche einiges zu bieten: Das Qualifikationsniveau ist sehr hoch, knapp ein Viertel der Pharma-Beschäftigten ist mit F&E befasst, beim Frauenanteil punktet die Industrie mit einem Anteil von 49 Prozent. Sie setzt auf moderne Arbeitswelten, flexible Arbeitszeiten, altersgerechte Arbeitsbedingungen und eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie. „Gerade das Potenzial überwiegend in Teilzeit beschäftigter Frauen kann besser genutzt werden, wenn beispielsweise Modelle des Führens in Teilzeit verstärkt zur Förderung von Frauen in Führungspositionen mitgedacht werden.“ Die Bedeutung internationaler Fachkräfte für den Standort Deutschland wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen, sagt der vfa voraus.

Gesucht: Eine zukunftsorientierte Branche

Gesucht: Eine zukunftsorientierte Branche
Deutschland im Wandel. Foto: ©iStock.com/Pohdee

Deutschland im Wandel – es kann sich auf den Erfolgen der Vergangenheit nicht ausruhen. Auf der Suche nach Industrien, die dem Land die Transformation erleichtern, könnte der Auftrag an einen „Headhunter“ so aussehen: 

„Suche hochinnovative Branche mit hoher Wertschöpfung, wenig konjunkturanfällig und mit sicheren, hochqualifizierten und gut bezahlten Jobs. Idealerweise erhöhen die Produkte der Bewerber:innen die Gesundheit der Menschen und der Gesellschaft, in der sie leben. Sie sorgen für mehr Produktivität und Wohlstand, machen eine längere Lebensarbeitszeit möglich. Die Kandidaten:innen sollten nicht zu viel CO2 ausstoßen und leicht zu dekarbonisieren sein. Bewerbungen bitte an das Ministerium für Wirtschaft und Klima.“

Diese Industrie muss niemand erfinden. Forschende Pharmaunternehmen gibt es schon. 

Weiterführende Links:

vfa: Transformation als Chance – Pharma 2030.

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