Wer in den 1990er Jahren mit der Diagnose Multiples Myelom konfrontiert war, dem blieb eigentlich nur noch: Abschied nehmen. „Bis vor etwa 20 Jahren war das Multiple Myelom nur durch konventionelle und bei fitten Patient:innen durch hochdosierte Chemotherapie zeitlich sehr begrenzt aufzuhalten“, schreibt Privat-Dozent Dr. Udo Holtick von der Uniklinik Köln in der Broschüre „Den Kampf gegen Krebs neu denken“ des forschenden Pharmaunternehmens Bristol Myers Squibb. „Viele Patient:innen starben innerhalb von zwei bis drei Jahren an der Erkrankung.“ Doch die Fortschritte in den vergangenen 20 Jahren vor allem im Bereich neuer Arzneimittel und deren Kombinationen haben die Therapie dieser Blutkrebserkrankung vollkommen verändert. Die Krankheit ist zwar immer noch nicht heilbar. Aber die Perspektiven der betroffenen Menschen haben sich dramatisch verbessert. Etwa 80 Prozent der Betroffenen können heute mindestens 10 Jahre überleben, so Holtick.
Von 2 bis 3 Jahre Lebenszeit zu 10 Jahre und mehr in rund 20 Jahren: Das beschreibt den Wert, den Schrittinnovationen für Menschen mit einem Multiplen Myelom haben.
Multiples Myelom: Eine seltene Krebserkrankung
Multiples Myelom (auch Knochenmarkkrebs genannt) ist, wenn sich die Vorläuferzelle einer einzelnen Plasmazelle im Knochenmark genetisch verändert. Das führt unter anderem dazu, dass sich die Zellen unkontrolliert teilen. „Typischerweise treten bei einem Multiplen Myelom mehrere Tumorherde im Knochenmark auf“, heißt es beim Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Die Erkrankung schreitet oft lange unbemerkt voran; die Diagnose ist häufig ein Zufallsfund. Typische Symptome „sind beispielsweise Knochenschmerzen, Müdigkeit und Leistungsabfall, Appetitlosigkeit und Übelkeit oder vermehrtes Wasserlassen.“ Mit 6 bis 8 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner ist die Krankheit selten. Unter den Blutkrebsarten ist sie aber die zweithäufigste und sie gehört zu den häufigsten Tumoren von Knochen und Knochenmark. Bei Diagnose sind Männer rund 72 Jahre, Frauen 74 Jahre alt.
Heute stehen Patient:innen dank intensiver Forschung viele verschiedene Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung (s. Grafik). Sie reichen von einer Hochdosis-Chemotherapie über Stammzelltransplantationen, von immunmodulierenden Wirkstoffen (ihr Name endet immer mit -mid), über monoklonale und bispezifische Antikörper (-mab), Proteasom-Inhibitoren (-mib), bis hin zu einem sogenannten XPO1-Hemmer. Seit 2021 gibt es zur Behandlung des Multiplen Myeloms auch CAR-T-Therapien; mittlerweile sind 2 zugelassen. Sie sind eine personalisierte Behandlung par excellence; Dr. Holtick nennt ihre Einführung „das Ereignis der vergangenen Jahre.“
CAR-T-Therapien: Beeindruckende Ergebnisse für Myelom-Patient:innen
Die CAR-T-Therapie entsteht aus den Immunzellen, die den Patient:innen entnommen und nach einer genetischen Veränderung wieder zugeführt werden. Das Immunsystem ist nun in der Lage, Krebszellen zu entdecken und zu bekämpfen. CAR-T-Therapien kommen bisher zum Einsatz, wenn andere Therapieoptionen und -kombinationen nicht funktioniert haben und die Krankheit voranschreitet. Die bisher gemachten Erfahrungen sind beeindruckend. „Ob die Therapie auch beim Myelom, etwa in früheren Therapielinien, zu Heilungen führen kann, ist noch Gegenstand der Forschung“, so Privat-Dozent Holtick. Tatsache ist, dass sehr viele Patient:innen selbst im fortgeschrittenen Stadium auf die Therapie noch ansprechen; viele sogar mit einer vollständigen Remission. Das heißt: Die Krankheit ist im Körper nicht mehr nachweisbar, sämtliche Krankheitszeichen sind verschwunden.
Die Revolution beim Multiplen Myelom ist paradigmatisch dafür, wie die Bekämpfung von Krankheiten und Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln funktionieren:
- Gerade bei hochkomplexen Erkrankungen sind es in der Regel Schrittinnovationen, deren Entwicklung wie beim Multiplen Myelom Jahrzehnte dauern kann, die aber in ihrer Summe eine kleine Revolution auslösen können. Aus vielen kleinen Schritten wird ein großer.
- Therapieoptionen sind kein Luxus, sondern medizinische Notwendigkeit. Denn oft verlieren Arzneimittel mit der Zeit ihre Wirkung. Für die Menschen heißt das: Der Krebs ist zurück. Nur, wenn die Forschung andere Wirkstoffe oder neue Kombinationen entwickelt hat, ist eine weitere Behandlung möglich.
- Verschiedene Wirkstoffe können in Kombination eingesetzt werden, um die Wirkung zu verbessern. Auch diese Kombinationen müssen in klinischen Studien sorgfältig getestet werden. Bei komplexen Erkrankungen spielen sie eine entscheidende Rolle.
- Schrittinnovationen schaffen Perspektiven, die weit über die Wirkung eines einzelnen neuen Arzneimittels hinausgehen. Denn sie können Lebenszeit schenken, bis die nächste Generation neuer Wirkstoffe zur Verfügung steht – die vielleicht sogar eine Heilung bedeuten kann (s. Pharma Fakten).
Für diese Hoffnung gibt es Gründe. Dr. Holtick weiß von vielen neuen Therapieansätzen, die sich in unterschiedlichen Phasen der Entwicklung befinden, „so dass für die nächsten Jahre optimistisch von einer weiteren substanziellen Verbesserung der Prognose von Myelom-Patient:innen ausgegangen werden kann.“
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Das Multiple Myelom ist ein Blutkrebs, der das Knochenmark befällt – und die zweithäufigste bösartige hämatologische Erkrankung in den westlichen Industriestaaten. In Deutschland sind es fast 7.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Meist trifft es Menschen im höheren Lebensalter – um das 70. Lebensjahr herum. Blutarmut und Müdigkeit, Gewichtsabnahme, Blutungsneigung, Knochenschmerzen und -brüche, aber auch Organfunktionsstörungen sind mögliche Symptome. Lange Zeit standen Bestrahlung und Chemotherapie im Fokus der Behandlung. Inzwischen können Ärzt:innen aus ganz unterschiedlichen Arzneimittelklassen wählen. Und die Forschung lässt auf weitere medizinische Fortschritte hoffen. Darüber spricht Dr. med. Ingo Abraham, Medical Director Hematology bei Bristol Myers Squibb, im Interview.
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