Das Jahr 2025 beginnt wie 2024: Die Finanzen der GKV sind desolat. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Deckelung von Arzneimittelpreisen wieder auf die politische Agenda kommt. Foto: ©iStock.com/may1985
Das Jahr 2025 beginnt wie 2024: Die Finanzen der GKV sind desolat. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Deckelung von Arzneimittelpreisen wieder auf die politische Agenda kommt. Foto: ©iStock.com/may1985

Arzneimittelausgaben 2025: „Same procedure, James“

Das Jahr 2025 beginnt wie 2024: Die Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sind desolat, nachhaltige Strukturreformen dringend angemahnt. Doch es ist wie bei „Dinner for One“: Alles wiederholt sich. Hier ist es das Nicht-Umsetzen von bereits seit Jahren identifizierten Reformprojekten. Deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Deckelung von Arzneimittelpreisen wieder auf die politische Agenda kommt: Same procedure halt. Ein Kommentar von Florian Martius.
Pharma Fakten-Redakteur Florian Martius
Pharma Fakten-Redakteur Florian Martius

Die in diesem Jahr angesetzten Beitragssteigerungen sind „bemerkenswert“, so das offenbar auch für diplomatische Töne trainierte ChatGPT; immerhin stellen die Bescheide, die den gesetzlich Versicherten dieser Tage ins Haus geflattert sind, „eine der bedeutendsten Beitragssatzänderungen der vergangenen Jahre“ dar. Über eines kann sich die GKV freuen: Mehr Geld wird es im neu gestarteten Jahr auf jeden Fall geben. Nur: Reichen wird es wieder nicht. Denn die GKV wird wahrscheinlich wieder mit Wucht gegen die Reformwand gefahren. Dabei mangelt es weder an zielführenden Ideen und noch nicht mal am notwendigen politischen Konsens. Wohl aber am Willen. Und an der Tatsache, dass das Thema Gesundheit in Berlin ein gerne umschifftes ist: Zu groß ist die Sorge, dass sich daraus keine Wählerstimmen generieren lassen. Gesundheit bleibt wahrscheinlich auch im nächsten Koalitionsvertrag ein Nischenthema. Einen Herbst der Reformen, hatte der Bundesgesundheitsminister angekündigt – doch dann war die Ampel Geschichte. Kurz: die Diagnose ist gestellt, aber auf einen konkreten Therapieplan wartet die Patientin GKV vergeblich.

Was dann passiert, ist Ritual. Die Krankenkassen werden wieder Alarm schlagen, dass die Preise für Arzneimittel dringend runter müssten; dieselben Preise, die ihr Spitzenverband im Rahmen des Nutzenbewertungsverfahrens AMNOG selbst mit den Arzneimittelentwicklern verhandelt und abgesegnet hat. Wer wissen will, wie das klingt, muss sich nur die Pressemitteilung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) anschauen, die Ende November des vergangenen Jahres verschickt wurde: „Erneut Rekordwert bei den GKV-Arzneimittelkosten: Anstieg um 74 Prozent in den letzten zehn Jahren.

Überraschungsarm: Die Kosten im Gesundheitswesen steigen

Überraschungsarm: Die Kosten im Gesundheitswesen steigen
GKV: Kosten steigen. Foto: ©iStock.com/ipopba

Zunächst zu den „Rekorden“: Dass im Gesundheitsbereich jedes Jahr Rekorde festgestellt werden, ist ein nur geringer Beitrag zum allgemeinen Erkenntnisgewinn – er gilt für die Gesamtausgaben der GKV als Ganzes und für ihre Teilbereiche. Wen wunderts? Löhne und Gehälter steigen, die Ausgaben für Material und Technik auch, Investitionen müssen getätigt werden, der technische-wissenschaftliche Fortschritt lässt grüßen und neue Arzneimittel werden eingeführt, 43 waren es 2024. Außerdem müssen mehr (ältere) Menschen versorgt, mehr Rezepte ausgestellt werden. Dass das alles mehr kostet, liegt auf der Hand. Auch die GKV-Ausgaben für Kliniken, die ärztliche Behandlung, Hilfsmittel, Reha oder Krankengeld bewegen sich kontinuierlich nach oben. Gesamtgesellschaftlich ist es ja eigentlich sinnvoll, wenn die Ausgaben für Gesundheit steigen – zumindest, wenn das Geld vernünftig ausgegeben wird. Schließlich ist eine gesunde Bevölkerung ein wichtiger Standortfaktor, weil der Krankenstand minimiert und dadurch andere Bereiche des Sozialsystems entlastet werden können. Und wenn wir schon bei Rekorden sind: Nie haben die Versicherten höhere Beiträge eingezahlt, als sie das dieses Jahr tun werden.

Nun hatte das WIdO vorgerechnet, dass es allein bei den Arzneimitteln zwischen 2014 und 2023 um 74 Prozent nach oben ging. Die Zahl ist unseriös, denn Betrachtungen von Kostenentwicklungen haben – gerade wenn lange Zeiträume ins Visier genommen werden – wenig Aussagewert, wenn sie nicht inflationsbereinigt bewertet werden. Ansonsten könnte man ja gleich den Untergang des Abendlandes an die Wand malen, weil der Preis für einen Liter Milch (1948: ca. 0,40 DM) seit Kriegsende um mehr als 500 Prozent gestiegen ist.

GKV-Anteil für die Pharmaindustrie? Um die zehn Prozent

Der Arzneimittel-Anteil an den GKV-Gesamtausgaben lag 2023 bei 16,4 Prozent und somit auf exakt demselben Niveau wie zehn Jahre zuvor.Setzt man der WIdO-Zahl also die Inflation entgegen, bleiben bei den Arzneimitteln noch 40 Prozent reales Wachstum übrig. Das ist sogar etwas weniger als die Steigerung der GKV-Gesamtausgaben im selben Zeitraum.

Auch die Aussage, dass die Arzneimittelausgaben im Jahr 2023 ein „Höchststand“ gewesen sein sollen, ist – diplomatisch formuliert – mit Vorsicht zu genießen. Das Statistische Bundesamt berechnete für dieses Jahr eine Inflation von rund sechs Prozent; ein Wert, der höher war als die Kostensteigerungen der GKV und auch der Arzneimittelausgaben. Das bedeutet: Die Ausgaben sind, wie auch schon im Jahr 2022, real gesunken. So ist das mit der Inflation: Es würde sich auch niemand von uns über ein Gehaltsplus von vier Prozent freuen, wenn die Inflation sechs Prozent beträgt. Es wäre de facto ein Minus, liebes wissenschaftliches Institut.

Fakt ist auch: Der Beitrag der Arzneimittel zu den GKV-Mehrausgaben wächst langfristig eher unterproportional. Aber das ist auch keine News im engeren Sinne; es ist seit Jahrzehnten so (s. Grafik): Der Arzneimittelanteil der GKV-Ausgaben ist – von leichten Schwankungen abgesehen – konsequent gleichbleibend. Der Wert bildet übrigens neben den Ausgaben für das Arzneimittel auch die Distributionskosten ab – also das Geld, was Apotheken und Großhandel bekommen – sowie die Mehrwertsteuer. So lässt sich grob überschlagen, dass Arzneimittelhersteller und -entwickler nur jeden zehnten Euro der GKV-Gesamtausgaben in Anspruch nehmen. Schwer vorstellbar, dass man damit ein GKV-System nachhaltig sanieren kann.

Arzneimittel: Wenig „Treiberei“ bei der „Kostentreiberei“

Das Thema lässt sich noch vertiefen. Das WIdO hatte im vergangenen November die patentgeschützten Arzneimittel als „die Kostentreiber“ identifiziert, „für die im Jahr 2023 mehr als jeder zweite Euro der Arzneimittelkosten (52,6 Prozent) ausgegeben wurde.“ Schaut man in den Daten der WIdO-Veröffentlichung nach, sieht man: Zumindest für die vergangenen drei Jahre schwankt der Anteil der patentgeschützten Präparate zwischen 52,5 und 52,6 Prozent. Das sind Kosten, ja, aber mit Treiberei hat es nichts zu tun. Daraus – á la WIdO – ein Weniger an Versorgung zu machen, ist zwar von der Rede- und Meinungsfreiheit abgedeckt, leugnet aber konsequent die Fortschritte der Medizin. Und die definieren sich nicht nach dem monetären Wert einer Tagesdosis (DDD), sondern darüber, welche Wirkung ein Arzneimittel entfaltet.

Bessere Medizin führt zu höheren Ausgaben

Arzneimittelausgaben 2025: „Same procedure, James“
Bessere Medizin führt zu höheren Ausgaben. Foto: ©iStock.com/may1985

Überhaupt beklagt das WIdO, dass der durchschnittliche Preis einer Packung einer Arzneimittelinnovation in den vergangenen Jahren stark gestiegen sei. Der für Menschen mit schweren Erkrankungen wohl wichtigste Grund ist: Es gibt mehr Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen, es gibt die Präzisionsmedizin mit ihren viel kleineren Patient:innengruppen, als das früher der Fall war, es gibt Gen- und Zelltherapien, die zu vollkommen neuartigen Behandlungsstandards führen und oft Einmaltherapien sind. Wer die Packungspreise von vor zehn Jahren mit denen von heute vergleicht, vergleicht den medizinischen Standard von damals mit dem von heute. Das muss nichts Schlechtes sein, denn es gibt viele Innovationen von damals, die noch heute in der Versorgung kranker Menschen eine nicht wegzudenkende Rolle spielen und übrigens – so funktioniert der Innovationszyklus – dem System oft zu Centbeträgen zur Verfügung stehen. Aber eines ist auch sicher: Ein schwer krebskranker und vielleicht auch austherapierter Mensch möchte in der Regel nicht mit den Standards von vor zehn Jahren behandelt werden.

Warum das alles wichtig ist? Als politische Begründung für das im Herbst 2022 in Kraft getretene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) – unter den Spareingriffen der vergangenen Jahrzehnte sicher das innovationsfeindlichste Gesetz – musste eine „erhebliche Ausgabendynamik“ im Bereich der Arzneimittel herhalten. Und nun hat auch das WIdO in diese Kerbe gehauen. Nur: Die Diagnose stimmt nicht – folglich kann auch die Therapie nicht stimmen. Der Geldmangel der GKV liegt in erster Linie an einem hochineffizienten System. Das Drehen an der Erstattungsschraube für Arzneimittelinnovationen wird die Versorgung der Menschen verschlechtern, weil die Zahl der in Deutschland verfügbaren, neuen Medikamente sinken wird. Und für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist es ebenfalls eine schlechte Nachricht, denn der Ausbau der Gesundheitswirtschaft als neue Schlüsselindustrie wird so nicht gelingen – oder nur mit angezogener Handbremse.

Und so muss die Politik das Dilemma lösen, dass sie, wie in der Nationalen Pharmastrategie beschlossen, Deutschland wieder führend in der Weiterentwicklung der Medizin machen will, aber gleichzeitig nicht den Reformwillen aufbringt, damit Innovationen nach dem Wert ihres Nutzens und nicht nach der finanziellen Schieflage der GKV honoriert werden können.

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