In Bayern setzen die Politik und Pharmaunternehmen seit Jahren auf Dialog. Das Ziel: Ein nachhaltiges, innovatives, patientenorientiertes und finanzierbares Gesundheitssystem. Foto: Pharma Fakten
In Bayern setzen die Politik und Pharmaunternehmen seit Jahren auf Dialog. Das Ziel: Ein nachhaltiges, innovatives, patientenorientiertes und finanzierbares Gesundheitssystem. Foto: Pharma Fakten

Bayerischer Pharmagipfel: Gesunder Standort für mehr Gesundheit

Wer ein nachhaltiges, innovatives, patientenorientiertes und finanzierbares Gesundheitssystem mit bestmöglichem Zugang zu innovativer Diagnostik und Therapie für alle haben will, der muss den Pharma- und Biotech-Standort stärken. Das ist die Überzeugung der Partner des Bayerischen Pharmagipfels 2024. Unter seinem Dach ist vor Jahren eine Dialogplattform zwischen der Politik und Pharmaunternehmen und ihren Verbänden entstanden, um die Rahmenbedingungen für Spitzenforschung zu optimieren.
Bayerischer Pharmagipfel 2024
Bayerischer Pharmagipfel 2024: Maßnahmen zur Stärkung der Arzneimittelproduktion. Foto: Pharma Fakten

Ohne Forschung keine Innovation. Ohne Innovation keine besseren Therapien. Ohne bessere Therapien keine moderne Medizin. Ohne moderne Medizin keine gute Versorgung. Oder anders: Wer den Menschen verspricht, dass sie im Krankheitsfall mit den besten und wirksamsten Arzneimitteln versorgt werden können – so steht es in den Zielen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) – der sollte die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung im Blick haben. In Bayern ist dieser holistische Blick auf Gesundheit schon seit 2015 verankert; die Regierung dort ist seitdem im intensiven Dialog mit der pharmazeutischen Industrie, um wichtige Themen wie Versorgungssicherheit und Innovation zu besprechen.

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hatten in die Münchner Residenz geladen; sie unterzeichneten mit Verbänden und Initiativen aus der Pharma-, Biotech- und Chemiebranche eine Gemeinsame Erklärung, die Maßnahmen zum Erhalt und zur Stärkung der Arzneimittelproduktion benennt und zentrale Forderungen an Bundesregierung und EU-Kommission richtet. Dabei wurden konkrete Handlungsfelder identifiziert.

Arzneimittelversorgung in Europa sichern, Pharmastandort stärken

In Brüssel wird das EU-Pharmapaket diskutiert. Ziel ist es „die Industrie dabei zu unterstützen, Forschung und Entwicklung von Technologien in Bereichen voranzutreiben, die den Patientinnen und Patienten tatsächlich zugutekommen.“ Eine gute Idee sei das, das war Konsens auf dem Bayerischen Pharmagipfel, aber es müsse nachjustiert werden. Denn dort ist unter anderem vorgesehen, die Schutzfristen für geistiges Eigentum zu kürzen bzw. an Bedingungen zu knüpfen. Für Professor Dr. Hagen Pfundner als Vertreter des Pharmaverbandes vfa ist das „völlig absurd. Die EU-Kommission nimmt das, was uns in Europa weltweit einigermaßen wettbewerbsfähig macht – einen sehr soliden Unterlagenschutz – unterläuft ihn und knüpft ihn dann an Bedingungen, die wir gar nicht erfüllen können.“ Der Patentschutz, so der Manager, ist „unser Lebenselixier.“ Staatssekretär Aiwanger sprach im Hinblick auf diese Pläne von einem „Denkfehler“: Unternehmen würden nur dann viel Geld in die Forschung stecken, wenn sie Aussicht darauf hätten, damit auch welches zu verdienen. „Sie sind kein Sozialamt. Sie werden nicht fremdbezuschusst und müssen sich die Dinge selbst erwirtschaften.“ Er plädierte dafür, den Schutz des geistigen Eigentums vielmehr auszubauen. Bayern, das erklärten sowohl Aiwanger als auch Gerlach, wird sich „auf jeden Fall“ für eine Stärkung des Patentschutzes in Europa einsetzen.

Arzneimittel: Lieferketten und Versorgungssicherheit stärken

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach
Gesundheitsministerin Judith Gerlach. Foto: Pharma Fakten

Die Arzneimittel-Lieferengpässe der vergangenen Monate haben gezeigt, wie verwundbar Lieferketten mittlerweile sind. Kein Hustensaft für Kinder in den Wintermonaten? Brustkrebsmittel, die die betroffenen Frauen dringend brauchen, aber nicht verfügbar sind, weil solche Präparate von der Gesundheitspolitik an die Wand gespart werden und deren Herstellung in Europa betriebswirtschaftlich längst nicht mehr darstellbar ist? „Wir fordern von der Bundesregierung ein Umdenken; wir brauchen eine nachhaltige Strategie, um Versorgungsengpässe zu vermeiden und den Pharmastandort zu stärken“, so Staatsministerin Gerlach.

Das vom Bund vorgelegte Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) reiche nicht aus. Speziell müssten Preisregulierungsmaßnahmen überprüft und das Rabattvertragssystem überarbeitet werden: „Für eine stabile Versorgung ist es wichtig, dass in Rabattverträgen neben dem Preis auch weitere Vergabekriterien zu Liefersicherheit, Nachhaltigkeit und Standort hinzugezogen werden“, heißt es in der Erklärung.

Zugang zu Orphan Drugs sicherstellen

Für Staatsminister Aiwanger ist die Förderung besserer Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung zur Behandlung von Menschen mit seltenen Erkrankungen Teil der sozialen Verantwortung der Solidargemeinschaft. 4 Millionen Menschen sind in Deutschland betroffen und für 95 Prozent der heute bekannten Erkrankungen gibt es noch keine kausale Behandlung. Oliver Kirst, Geschäftsführer von Servier Deutschland und Vorsitzender des Pharmaverbandes BPI, erinnerte daran, dass das Nutzenbewertungsverfahren nach dem AMNOG bei so kleinen Patient:innen-Gruppen an seine Grenzen stößt. „Das aktuelle AMNOG-System muss weiterentwickelt werden – das kann nicht funktionieren.“ Vor allem dann nicht, wenn man, wie mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, noch eine Investitionsbremse „davorschiebt.“ Dort wurde die Umsatzschwelle, ab der mit einem Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen im hiesigen Nutzenbewertungsverfahren wie mit jedem anderen Arzneimittel umgegangen wird, deutlich reduziert. Dort aber trifft das Präparat auf ein System, das von der Methodik her allzu oft nicht in der Lage ist, eine Innovation also solche zu erkennen – entsprechend fallen dann die Erstattungsbetragsverhandlungen aus. Innovationen sind so nicht finanzierbar, so Kirst. „Wir müssen Geld erwirtschaften, damit wir es wieder in die Forschung stecken können.“ Für Patient:innen bestehe die Gefahr, „dass Deutschland die Vorreiterrolle in Europa bei der Versorgung […] mit innovativen Arzneimitteln verliert“, so die Gemeinsame Erklärung.

Das AMNOG zukunftssicher weiterentwickeln

Bayerischer Pharmagipfel: Politik und Industrie im Dialog.
Bayerischer Pharmagipfel: Politik und Industrie im Dialog. Foto: Pharma Fakten

Das deutsche System der Zusatznutzenbewertung muss sich „lernend“ weiterentwickeln. Ministerin Gerlach sieht es als „ein großes Problem“, dass das AMNOG für neue medizinische Entwicklungen nicht flexibel genug ist, weil der Bewertungsrahmen zu starr ist. Nur: Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) gehe der Bund leider einen anderen Weg. „Wir werden uns dafür einsetzen, dass die sogenannten Leitplanken und der Kombinationsabschlag ersatzlos gestrichen werden.“ Im GKV-FinStG hatte die Bundesregierung solche Leitplanken eingezogen, nach denen ein neues Arzneimittel in bestimmten Fällen trotz nachgewiesenem Zusatznutzen nicht teurer sein darf als eine Vergleichstherapie. Das Gesetz sei deshalb eine Innovationsbremse. Mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG) war der Versuch unternommen worden, Teile dieser Regelungen zu korrigieren. „Eine brutal vertane Chance“, so Hagen Pfundner. „Die Fehlsteuerungen des GKV-FinStG wieder rückgängig zu machen – das wurde verpasst.“ Oliver Kirst ergänzte: „Die Forschung fördern, das ist gut. Aber man muss das auch zu Ende denken und Forschungsergebnisse honorieren.“

Das Feuerwerk des Professor Hecken

Professor Josef Hecken
Professor Josef Hecken. Foto: Pharma Fakten

Dass auch in Berlin die Aufregung über die jüngsten AMNOG-Entscheidungen groß ist, war Professor Josef Hecken anzumerken. Angekündigt war ein „Impuls“ des Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA); was kam, war ein Feuerwerk. Der Arzneimittelmarkt brauche vor allem eines: Vertrauen. „Sie forschen viele Jahre an einem Wirkstoff, Sie bringen den in den Markt, haben vielleicht 10 Jahre Patentschutz und dann müssen Sie sich als pharmazeutischer Unternehmer darauf verlassen können, dass die Spielregeln, die am Anfang gesetzt wurden, auch gelten und nicht alle 14 Tage fundamental geändert werden“, rief er in den Max-Joseph-Saal. Seine Botschaft an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach: „So wird man niemanden dazu veranlassen, auch nur einen Euro zu investieren. So macht man Forschung kaputt.“ Der Minister habe mit dem GKV-FinStG einen „Regelbruch“ begangen, weil Schrittinnovationen nicht mehr als Fortschritt interpretiert werden und deshalb preislich heruntergeregelt würden. Das sei der „Lauterbach´sche Irrtum“. „Wenn das so weiter geht, sind wir bei den patentgeschützten Arzneimitteln in 10 Jahren da, wo wir bei den Generika heute schon sind.“ Hecken spielte auf die Lieferengpässe an. Und sagte: „Dafür dürfen wir keine Verantwortung übernehmen.“

Klinische Forschung stärken

Laut der Gemeinsamen Erklärung soll Bayern Spitzenstandort für klinische Forschung sein, aber dafür brauche es bessere Rahmenbedingungen: Das vom Bund verabschiedete Medizinforschungsgesetz „ist nicht ausreichend, um die nach wie vor bestehenden großen Hürden für klinische Forschung in Deutschland abzubauen“, heißt es in dem Papier. Während in Spanien bereits Patient:innen für eine Studie rekrutiert würden, „warten wir in Deutschland noch auf ein Votum einer Ethikkommission“, so BPI-Vorsitzender Kirst. Klinische Studien sind der Motor für Arzneimittelinnovationen; und für Menschen mit schweren Erkrankungen die Chance, schon Jahre vor Zulassung eines neuen Wirkprinzips von ihnen zu profitieren.

Chancen und Potenziale von Gesundheitsdaten stärker nutzen

Es gibt kaum ein Land, das über so viele Gesundheitsdaten verfügt, wie die Bundesrepublik. Im Sinne der Patient:innen und einer besseren medizinischen Versorgung werden sie aber so gut wie nicht genutzt. Auch das will Staatsministerin Gerlach ändern. „Unser Motto lautet: Datenschatz und Datenschutz gemeinsam denken.“ Schließlich liegt in einer sinnvollen Datennutzung „ein Schlüsselfaktor für Innovation und Fortschritt.“ Der Bund hat mit den Digitalgesetzen viele der Voraussetzungen geschaffen, damit Deutschland endlich seine digitale Aufholjagd starten kann, damit Datennutzung im Sinne des „Patientenschutzes“ (O-Ton Pfundner) endlich in der Versorgung der Menschen ankommt. Das, so Gerlach, müssen nun aber schnell umgesetzt werden.

Pharma-Dialog: Seit 2015 auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen

Der seit 2015 laufende Dialog zwischen Politik und Industrie ist von der Erkenntnis getragen, dass Gesundheitspolitik mehr umfassen muss als „nur“ Gesundheit. Gesundheitspolitik sollte Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik mitdenken. Sonst hält das System nicht mehr mit dem wissenschaftlichen Fortschritt mit. „Das deutsche Gesundheitssystem muss digitaler, entbürokratisierter, innovationsfreundlicher und verlässlicher werden – und zwar schnell,“ heißt es in der Erklärung. Denn das Vertrauen der Menschen erodiert, wie eine Umfrage des Demoskopischen Instituts Allensbach (IfD) im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigt. Zwar sind zwei Drittel (67 Prozent) der Befragten mit dem Gesundheitssystem zufrieden; vor 2 Jahren allerdings lag der Wert noch bei 81 Prozent. Das Deutsche Ärzteblatt schreibt: „Das Vertrauen der Bundesbürger ins Gesundheitssystem sinkt offenbar.“

Weiterführender Link:
Bayerischer Pharmagipfel 2024: Gemeinsame Erklärung

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