Wer investiert in Wirkstoffkandidaten, deren Entwicklung Milliardensummen verschlingt und bei denen die Chance des Scheiterns fast 100 Prozent ist? Foto: ©iStock.com/Gorodenkoff Productions OU
Wer investiert in Wirkstoffkandidaten, deren Entwicklung Milliardensummen verschlingt und bei denen die Chance des Scheiterns fast 100 Prozent ist? Foto: ©iStock.com/Gorodenkoff Productions OU

Pharmaforschung: Unmögliches möglich machen

Wirkstoffe gegen die Alzheimer-Erkrankung zu entwickeln – daran haben forschende Pharmaunternehmen wenig Interesse. Klar, das finanzielle Risiko ist schlicht zu hoch. So lautet einer dieser Mythen, die sich wacker halten, aber einem Faktencheck nicht standhalten. Denn das Geschäftsmodell der Industrie ermöglicht es, dass in Wirkstoffkandidaten investiert wird, die Milliardensummen verschlingen, bei denen die Chance des Scheiterns bisher fast 100 Prozent ist.

Der Antikörper Lecanemab hat in einer Phase-III-Studie gezeigt, dass er den Verlauf der Alzheimer-Erkrankung verlangsamen kann. Von einem „Meilenstein“, von einem „echten Durchbruch“ ist die Rede. Für die Plattform Alzforum.org aus den USA ist es der „Big Win“. Nüchterner klingt die Alzheimer Forschung Initiative. Dort ist man „vorsichtig optimistisch. Lecanemab greift in die Mechanismen der Alzheimer-Krankheit ein und reduziert nicht nur die schädlichen Amyloid-Ablagerungen, sondern verzögert auch den Krankheitsverlauf. Das ist das ausschlaggebende Kriterium für die Patientinnen und Patienten – und das hat bisher noch kein Wirkstoff geschafft.“ Noch ist der Antikörper nicht zugelassen.

PF-Grafik: Fast 800 Medikamente gegen häufige chronische Erkrankungen in EntwicklungNachrichten gab es im November 2022 auch zu einem weiteren Antikörper. Gantenerumab konnte in einer Phase-III-Studie nicht überzeugen; die Verlangsamung des klinischen Verfalls wurde nicht erreicht. So nah können Forschungsglück und Forschungspech beieinanderliegen. Fest aber steht: Die Suche geht auf jeden Fall weiter. Der US-amerikanische Branchenverband PhRMA berichtete kürzlich von 82 Wirkstoffkandidaten, die sich gegen die Demenzerkrankung in der Entwicklung befinden (s. Grafik). Der Grund für einen Mangel an wirksamen Alzheimer-Präparaten ist nicht fehlender Wille; es sind die wissenschaftlichen Hürden. Noch ist es der Forschung nicht gelungen, den Alzheimer-Code zu knacken. Aber unter Forscher:innen gibt es wohl ein Motto: Wer nicht sucht, der findet nicht.

Alzheimer: Weltweit alle 3 Sekunden ein neuer Fall

Das Finden ist dringend nötig. Denn weltweit gibt es alle 3 Sekunden einen neuen Fall – ein Betroffener mehr in der Zeit, die es braucht, um diesen Satz zu lesen. Das letzte Alzheimer-Präparat wurde in Europa vor rund 20 Jahren zugelassen. Seitdem gilt: 99,6 Prozent der klinischen Studien sind gescheitert. Trotzdem geht die Suche weiter.

Pharmaforschung ist vor allem durch 4 Faktoren geprägt: Da sind die extrem langen Entwicklungszeiten bei ungewissem Ausgang, die finanziert werden müssen. Hinzu kommen: Komplexität der wissenschaftlichen Fragestellung, die zu Recht hohen Hürden in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit und schließlich – daraus resultierend – die hohe Quote von Projekten, die es aus den Laboren nicht bis zur Zulassung schaffen. Bis eine neue Substanz bei den Menschen ankommt, die sie brauchen, können schon mal mehr als 10 Jahre vergehen. Erst dann kann das entwickelnde Unternehmen Umsatz generieren. 

Pharmaforschung braucht Patentschutz

Innovationstreiber
Patentschutz: Anreiz aufrechterhalten, Innovationen zu entwickeln. Foto: ©iStock.com/Olivier Le Moal

Insgesamt ist das ein Innovationszyklus, der gut funktioniert. Dafür spricht nicht nur die seit Jahren stabil hohe Zahl der Neuzulassungen, sondern auch die zahlreichen innovativen Therapien, wie wir sie in den vergangenen Jahren vor allem in der Onkologie (aber nicht nur dort) sehen. Den Rahmen für diesen Zyklus bildet der Patentschutz. Er sichert den entwickelnden Unternehmen für eine klar definierte Zeit einen gewissen Schutz für ihre Forschungen, stellt aber auch sicher, dass nach Ablauf dieser Frist andere Unternehmen Wirkstoffe „nachbauen“ und entsprechend preisgünstiger anbieten können. Das wirkt 2-fach: Es stellt sicher, dass der Anreiz hoch bleibt, Innovationen zu entwickeln. Und es schafft in den Gesundheitssystemen finanziellen Spielraum: Die Innovation von gestern wird günstiger, um die Innovation von heute zu bezahlen.

Die Voraussetzung, dass der Zyklus funktioniert, ist wirtschaftlicher Erfolg. Nur ein Unternehmen, das Geld verdient, ist in der Lage, finanzielle Risiken zu tragen, wie sie zum Beispiel bei der Alzheimer-Forschung anfallen. Die Einnahmen aus den heute zugelassenen Arzneimitteln sind die Voraussetzung für die Therapien von morgen. Nur wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen ist es möglich, in Projekte zu investieren, bei denen bisher alle Versuche fehlgeschlagen sind. Gewinne sind der Treibstoff für Innovationen.

Kostendämpfung ist richtig teuer

Kostendämpfung ist richtig teuer
Spargesetze: Innovationen verzögern sich, Wissens- und Wirtschaftsstandort leidet. Foto: ©Alzheimer Forschung Initiative e.V.

Damit wird deutlich, welchen Einfluss Spargesetze haben können. Dass Kostendämpfungsmaßnahmen keinen guten Einfluss auf Investitionen haben, ist unter Ökonomen ein No-brainer. Wie die BASYS-Studie belegt hat, wirken sie gleich mehrfach negativ, wie am Beispiel von Herstellerzwangsrabatten gezeigt werden konnte: „Die Erhöhung des Herstellerrabatts um 1 Euro verursacht Einkommensverluste und Minderinvestitionen von 2 bis 3 Euro.“ Heißt: Gesamtgesellschaftlich betrachtet, kann das Sparen zulasten einer innovativen Industrie ein teurer Spaß werden. Innovationen verzögern sich, Wissens- und Wirtschaftsstandort leidet. Am Ende verlieren alle.

Kostendämpfung, wie sie im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz umgesetzt wird, hat einen innovationsfeindlichen Charakter. Leisten können wir uns das nicht, denn die Zahl der wissenschaftlichen Herausforderungen ist hoch: Mit der Antibiotikakrise steht die nächste „Pandemie“ an. Der Impfstoff gegen HIV wird seit 4 Jahrzehnten gesucht. Die Zahl der Krebserkrankungen wird zunehmen, ebenso wie die der Diabetes-Patient:innen. Die Folgen der Klimakrise sind gesundheitlich gar nicht abzuschätzen. Die Liste der nicht kausal behandelbaren seltenen Erkrankungen ist unendlich lang.

Die Aufzählung ist unvollständig. Aber alle diese Indikationen haben eines gemeinsam: Ohne Arzneimittelinnovationen, ohne neue Impfstoffe wird ihre Behandlung nicht einfacher, in manchen Fällen gar nicht möglich sein.

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„Hinter jedem Arzneimittel, das es zu den Patienten schafft, stehen viele Wirkstoffkandidaten, die scheitern“, schreibt der amerikanische Pharmaverband PhRMA in einem Bericht. Misserfolge gehören zu der pharmazeutischen Forschung dazu: Gerade in Bereichen, in denen Wissenschaftler neues Terrain betreten, oder bei besonders komplexen Erkrankungen wie Krebs sind sie unvermeidbar. Statt vom „Scheitern“ möchte PhRMA allerdings lieber von „Rückschlägen“ sprechen. Denn die Erkenntnisse, die aus ihnen gezogen werden können, machen den Erfolg künftiger Forschungsprojekte wahrscheinlicher.

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