Mehr klinische Studien – mehr Zukunft

Kranke Menschen von heute mit der Medizin von morgen behandeln: Das ist das Versprechen von klinischen Studien. Denn sie machen Behandlungen mit Innovationen möglich, die oft erst Jahre später eine Zulassung erhalten. In Deutschland könnten viel mehr Studien durchgeführt werden; das forschende Pharmaunternehmen AstraZeneca etwa würde die Zahl der Studienaktivitäten im Land gerne verdoppeln. Doch dafür fehlt momentan die Infrastruktur. Eine Umfrage zeigt: Am Willen der Ärzt:innen liegt es nicht.

Beispiel Lungenkarzinom: Die Überlebensraten werden von Jahr zu Jahr besser – der Grund ist vor allem die Entwicklung neuer, zielgerichteter Arzneimittel. Der Fortschritt ist so rasant, dass viele Betroffene „direkt in eine klinische Studie eingeschlossen werden“, wie der Onkologe Professor Dr. Christof von Kalle im Pharma Fakten-Interview sagt. „Für diese Menschen kann eine klinische Studie die buchstäblich letzte Therapieoption sein – und deshalb wird es einem Münchner nicht egal sein, dass eine Studie nur in Mailand und nicht auch in seiner Heimat umgesetzt wird.“ Soll heißen: Jede Studie, die nicht hierzulande stattfindet, nimmt schwer kranken Menschen die Chance auf eine neuartige Behandlung. Expert:innen wie Professor Dr. von Kalle wünschen sich deshalb ein „Ökosystem für Innovationen“ – und das bedeutet unter anderem: mehr klinische Studien in Deutschland.

Das hätte AstraZeneca auch gerne. Aktuell sind es rund 250 Studien in 900 Prüfzentren mit rund 5.000 randomisierten Patient:innen, die vor allem in den Bereichen Krebs, Atemwegs-, Herzkreislauf-, Nieren- und Stoffwechselerkrankungen laufen. Diese Zahl würde das Unternehmen gerne verdoppeln. „Wir wollen Deutschland zum wichtigsten Standort für unsere Studienaktivitäten in Europa zu machen“, sagt Dr. Doris Henn, Senior Director Site Management & Monitoring. Sie ist mit ihrem Team der Motor hinter diesen Studien. Doch was sind die Hürden, die dafür gesorgt haben, dass das Land in den vergangenen Jahren seine internationale Spitzenposition verloren hat?

Klinische Studien: Eine überwältigende Mehrheit der Ärzt:innen ist dafür

Dr. Doris Henn, AstraZeneca. Foto: Michael Michi Schunck
Dr. Doris Henn, AstraZeneca. Foto: Michael Michi Schunck

AstraZeneca hat deshalb unter Ärzt:innen eine Umfrage durchgeführt; das Ergebnis des „KliFo-Barometers 2025“: Gerade diejenigen ohne bisherige Studienerfahrung haben großes Interesse, an klinischen Studien teilzunehmen – das sagen 94 Prozent. Allerdings gibt mehr als die Hälfte (55 %) an, kaum oder gar nicht über konkrete Teilnahmemöglichkeiten informiert zu sein. Die eine Zahl belegt das Riesenpotenzial. Die zweite zeigt: Die Hürden müssen überwunden werden. Defizite wie Bürokratie (78 % Zustimmung), zeitaufwändige Datenerfassung (70 %) und fehlende Integration von Forschungszeit in „die reguläre Arbeitszeit“ (66 %) behindern das Engagement der Ärzt:innen, heißt es bei AstraZeneca. Noch einmal Doris Henn: „Es freut uns, dass sowohl Ärzt:innen mit als auch ohne bisherige Studienerfahrung klinische Studien als sehr relevant für die Verbesserung der Patient:innenversorgung ansehen. Denn wir brauchen diese positive Haltung dringend, damit sich niedergelassene Spezialisten oder Kliniken zu Studienzentren weiterentwickeln und das Thema Forschung stärker in der breiten Ärzteschaft etabliert wird.“

AstraZeneca setzt sich dafür ein, eine „belastbare Infrastruktur, ein innovationsfreundliches Umfeld und entsprechende Rahmenbedingungen“ zu schaffen. Dazu brauche es:

  • mehr Studienzentren und Kliniken: Ärzt:innen ohne bisherige Studienerfahrung müssen mobilisiert sowie besser über Möglichkeiten der Studienteilnahme informiert werden. Auch bürokratische Hürden müssen abgebaut werden;
  • eine stärkere Präsenz klinischer Forschung in der breiten Ärzteschaft: Dazu gehört der Aufbau von Netzwerken unter den Mediziner:innen, um die Überweisung der Patient:innen an entsprechende Studienzentren zu verbessern;
  • rechtskräftige Mustervertragsklauseln, um klinische Studien schneller starten zu können und um international wettbewerbsfähig zu bleiben: In Deutschland dauern Vertragsabschlüsse zwischen Prüfzentrum und Pharmaunternehmen bis zu 300 Tage; in Frankreich hingegen 24 bis 76 Tage;
  • eine ausgeprägte Forschungskultur: Ein Ansatzpunkt wäre es, klinische Forschung bereits frühzeitig in das Medizinstudium zu integrieren;
  • mehr nicht-ärztliches Personal zur Unterstützung in den Zentren wie Study Nurses als Studienkoordinator:innen.

Klinische Studien: Erfolgsfaktor Studienkoordination

Klinische Studien: Erfolgsfaktor Studienkoordination
Studienkoordinator:innen: Ausbau dieser Rolle sinnvoll? Foto: ©iStock.com/jacoblund

Mehr als 90 Prozent der Befragten halten den Ausbau dieser Rolle für sinnvoll. „Ob eine Studie läuft, hängt wesentlich von den Studienkoordinator:innen ab“, ergänzt Dr. Simone Kappels, Oncology Country Head von AstraZeneca. „Wir freuen uns deshalb, dass Ärzt:innen die Bedeutung von Studienkoordinator:innen sehen und es als sinnvoll erachten, diese zentrale Rolle in der klinischen Forschung auszubauen. Wir befürworten eine bessere Anerkennung des Berufsbildes, denn sie sind die entscheidende Schnittstelle zwischen Forschung, Sponsor, Verwaltung und Ärzteschaft.“ Deshalb hat das Pharmaunternehmen mit OncoCoord ein Schulungs- und Austauschprogramm entwickelt, um Studienkoordinator:innen und Study Nurses tiefgehendes medizinisches und regulatorisches Wissen zu vermitteln. Außerdem neu bei AstraZeneca: Eine Taskforce, die gezielt Praxen und Kliniken identifizieren will, die Interesse haben, Studien durchzuführen. „Diese Zentren werden dann auf dem Weg zum Prüfzentrum begleitet“, sagt Doris Henn.

Klinische Studien: Mehr Teilnehmer:innen gesucht

Und noch eine Stellschraube gibt es, um mehr Studien ins Land zu holen. Im Vergleich zu anderen europäischen Nachbarn sind die in Deutschland lebenden Menschen ausgeprägte Studienmuffel. 33 Studien pro 1 Million Einwohner finden hierzulande statt. In Dänemark sind es fast 200, Belgien bringt 147 auf die Waage und Spanien hat mit 62 Studien immer noch doppelt so viele wie Deutschland. International ein Bedeutungsverlust, der nicht folgenlos bleibt: „Damit drohen Wissen, Arbeitsplätze und Kapital verloren zu gehen, das zur Entwicklung weiterer Innovationen eingesetzt werden könnte“, heißt es in einer vom Pharmaverband vfa beauftragten Studie.

Fazit: Deutschland kann seine Spitzenposition nur durch gezielte strukturelle und politische Maßnahmen sowie eine bessere Forschungsinfrastruktur zurückgewinnen. Mit der Nationalen Pharmastrategie und dem Medizinforschungsgesetz wurden die ersten Kehrtwenden eingeleitet. „Doch nun muss das konsequent umgesetzt und weiterentwickelt werden“, sagt Doris Henn. Was sie antreibt? „Ich möchte so früh wie möglich kranken Menschen Therapieoptionen anbieten, die ihnen bisher nicht zur Verfügung stehen“, erklärte sie im Pharma Fakten-Interview. „Wir schaffen gerade die Voraussetzungen dafür, wieder ganz oben mitzuspielen – allerdings muss es jetzt auch umgesetzt werden. Sonst wachen wir in fünf Jahren auf und stellen fest: Oh, die anderen sind schon wieder weiter.“

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